Aufsteigerinnen
Im Sommer 2023 sind die HSV-Frauen in die zweite Bundesliga aufgestiegen und haben damit ein Ziel erreicht, auf das sie lange hingearbeitet haben. Den eingeschlagenen Weg will der Verein konsequent weitergehen.
Der Jubel im Stadion Lichterfelde am 18. Juni dieses Jahres kannte keine Grenzen: Die Ersatzspielerinnen sprinteten nach dem Abpfiff auf den Platz und bildeten ein Jubelknäuel, auf das sich eine nach der anderen warf. Andere umarmten einander lange und innig oder hatten Tränen der Freude in den Augen. Kurze Zeit später ging das Team geschlossen zum Gästeblock, feierte ausgiebig mit den Fans und einige Spielerinnen hingen am Zaun und standen später selbst im Block. Die HSV-Frauen hatten dank eines 3:1-Auswärtssieges im Aufstiegsrelegationsrückspiel bei Viktoria Berlin den Aufstieg in die zweite Bundesliga geschafft, nachdem sie im Hinspiel in Hamburg 3:0 gewonnen hatten. Es war die Krönung einer langen Saison und das erste große Ziel eines Weges, der vor zwei Jahren mit Nachdruck eingeschlagen wurde und weiter fortgeführt wird.
Der Antrieb, den Aufstieg in die zweite Bundesliga zu schaffen, wurde durch den knapp verpassten Erfolg im Sommer zuvor verstärkt. Auch in der Saison 2021/2022 wurden die HSV-Frauen Meisterinnen der Regionalliga Nord, gewannen, anders als 2023, noch den Hamburger Pokal, doch scheiterten in den Aufstiegsspielen an Turbine Potsdam II, weil das Team nach einem 1:0-Hinspielsieg das Rückspiel 0:4 verlor. „Ich habe früh erkannt, was uns die Erfahrung des Nichtaufstiegs gebracht hat“, sagt Catharina Schimpf, ehemalige HSV-Spielerin und seit 2021 Koordinatorin Frauen- und Mädchenfußball beim HSV.
Für die Spielerinnen sei das eine wertvolle Erfahrung gewesen. „Wir sind durch den verpassten Aufstieg noch intensiver in die Analyse gegangen und haben aus unseren Fehlern gelernt. Das wird uns langfristig auf unserem Weg helfen“, so Schimpf.
Im Sommer 2022 wurde der Kader leicht verändert und einige gestandene Spielerinnen wurden dazugeholt. Die Abwehr wurde mit Jacqueline Dönges, die vom VfL Wolfsburg kam, und der erfahrenen Rückkehrerin Nina Brüggemann stabilisiert. „Dieses junge Team brauchte mehr Unterstützung von Bundesligaerfahrenen“, erklärt Schimpf die Transfers. Im Winter kamen dann mit Dana Marquardt, Carla Morich und Jobina Lahr Spielerinnen hinzu, die ebenfalls Erfahrung mitbrachten und entweder schon für den HSV gespielt hatten oder wie Marquardt aus der Region kamen.
„Wir haben Spielerinnen benötigt, die Ruhe in so eine Relegation bringen können, weil sie auf dem Fußballplatz schon einiges erlebt haben, und die jüngere Spielerinnen unterstützen können.“ Nach der Winterpause, sagt Schimpf, sei sie sich sicher gewesen, dass es mit dem Aufstieg klappen würde. „Ich habe gesehen, was für einen starken Kader wir haben und wie sich diese Mannschaft und jede einzelne Spielerin innerhalb des ersten Halbjahres entwickelt hat und wie nahtlos die Neuzugänge sich eingefügt haben.“
Eine Frage der Mentalität
Um sich komplett auf die Liga und den Aufstieg zu konzentrieren, hat das Team nicht mehr am Hamburger Pokalwettbewerb teilgenommen. Die Spiele absolvierte stellvertretend die U 23. Hinzu kam das Erstrundenaus im DFB-Pokal beim zu diesem Zeitpunkt ebenfalls drittklassigen ATS Buntentor im Elfmeterschießen.
„Das verlorene DFB-Pokalspiel war der erste besondere Moment, weil wir wachgerüttelt wurden“, blickt Kapitänin Sarah Stöckmann zurück. „Das hat uns geholfen zu erkennen, dass wir wieder an unsere Grenzen gehen müssen.“ Besonders sei auch das Hinspiel gegen Hannover 96 gewesen: „Wir haben hinten gelegen und das Spiel noch in ein knappes 2:1 gedreht.“
Beim Spiel in Barmke waren nur zwölf Spielerinnen aus dem regulären Kader der ersten Mannschaft dabei. Der Rest fehlte wegen Länderspielen oder Verletzungen und viele Spielerinnen aus der U 17 und der U 23 stießen zum Kader. „Da wurde klar, wie gut wir in der Breite aufgestellt sind“, sagt Stöckmann. „Ich dachte mir, dass wir das schaffen können, wenn wir so etwas kompensieren können.“
Ein besonderer Moment der vergangenen Saison sei die Reaktion auf die einzige Saisonniederlage gegen den Eimsbütteler TV gewesen, sagt Marwin Bolz, in der vergangenen Spielzeit Co-Trainer von Lewe Timm und jetzt Chefcoach. „Wir haben danach noch einmal alles hinterfragt und optimiert. Im nächsten Spiel gegen Henstedt-Ulzburg haben wir dann eine starke Reaktion gezeigt“, so der 25-Jährige. Nach der 1:2-Niederlage in Eimsbüttel besiegten die HSV-Frauen den direkten Verfolger Henstedt-Ulzburg 2:1 und sicherten sich die Meisterschaft in der Regionalliga Nord. „Da haben wir uns als stark erwiesen.“ Und auch Kapitänin Stöckmann sagt: „Nach der Niederlage haben wir uns in die Verantwortung genommen. Diese Herausforderungen waren wichtig und haben uns gezeigt, dass wir im Vergleich zum Vorjahr einen großen Schritt gemacht haben.“
Durch die Saison hat sich das Team Etappenziele gesetzt, um sich bestmöglich auf die Aufstiegsspiele vorzubereiten. „Ab dem ersten Trainingstag hatte ich das Gefühl, dass jede Spielerin den puren Fokus hatte, aufzusteigen“, sagt Schimpf. Hinzu kamen Testspiele gegen höherklassige Gegner. Zum Beispiel testete man mehrmals gegen Werder Bremen. „Wir mussten regelmäßig auf höherem Niveau spielen. Für die Spielerinnen war es sehr wichtig, das Gelernte in diesen Spielen abrufen zu können. Dadurch haben sie unabhängig vom Ligabetrieb gemerkt, dass sie sich in eine gute Richtung entwickeln.“
Auch innerhalb der Trainingsarbeit gab es Etappenziele, und die Mischung aus Training und Erholung war wichtig. „Nach der Meisterschaft hatten wir eine Woche Pause und sind in die letzte Etappe gegangen. Trotz der langen Saison waren die Spielerinnen am Ende bereit für die Aufstiegsspiele“, so Schimpf.
Das Team hat über die Spielzeit hinweg verschiedene Spielsysteme und Pressingarten einstudiert und getestet, auch gab es – in der Frauen-Regionalliga eigentlich unüblich – vor jedem Spiel eine Gegneranalyse. Auch das war eine spezifische Maßnahme für die Aufstiegsspiele, genauso wie Testspiele gegen den Bundesligisten Werder Bremen, der einen ähnlichen Spielstil wie Viktoria Berlin hat. „Wir wussten genau, wie der Gegner spielen wird, und waren bestens vorbereitet“, sagt Schimpf.
In den Wochen vor den Aufstiegsspielen war die Mannschaft sehr fokussiert. „Unsere Aufgabe war, auch wieder ein bisschen Lockerheit reinzubringen“, sagt Bolz, weil nur Anspannung auch nicht hilfreich sei. Die große Anspannung habe sich im Aufstiegsrückspiel nach und nach gelöst.
Das Hinspiel hatten die Hamburgerinnen 3:0 gewonnen. Trotzdem war für Stöckmann das 1:0-Führungstor im Rückspiel enorm wichtig: „Uns war klar, dass Viktoria alles versuchen muss, um ein frühes Tor zu schießen, und gleichzeitig keines bekommen darf. Wir wussten, dass es nahezu unmöglich für Viktoria wird, wenn wir ein Tor erzielen. Wir waren über die gesamte Saison hinten sehr sicher.“ Das Tor zum 1:0, sagt sie, habe viel Anspannung gelöst. Für das Team sei das Freistoßtor durch Larissa Mühlhaus ein Brustlöser gewesen, sagt auch Bolz, der aber weiter angespannt blieb. „Befreiend war es erst, als wir unsere Konter ausgespielt und die Führung erhöht haben. Danach war die Freude riesengroß.“
Mit Fans im Rücken
Von Stöckmann fiel erst einmal Anspannung ab. „Wir haben schon im Vorjahr mit Meisterschaft und Pokalsieg eine überragende Saison gespielt und mussten trotzdem noch mal Regionalliga spielen. Deshalb war vor den Relegationsspielen eine gewisse Anspannung vorhanden.“ Die fiel mit dem Aufstieg ab. „Nach dem Abpfiff war ich einfach nur stolz auf uns und habe mich riesig gefreut, dass es endlich geklappt hat.“
Geholfen hat dem Team dabei auch die Unterstützung der Fans. „Es gibt wenige Clubs, die in der Regionalliga einen solchen Support haben“, sagt Schimpf. Der Support habe die Spielerinnen in dieser Saison gepusht, auch das sei ein Unterschied zur Vorsaison, in der der Umgang mit dem zahlreichen Support vom Spielfeldrand noch ungewohnt war. „Ich habe gespürt, wie stolz die Spielerinnen sind“, sagt Schimpf und freut sich auch wegen der Fans auf die zweite Liga: „Wir können da auch noch mal anders auftreten, weil wir so eine große Fanbase hinter uns haben.“
„Das war ein Riesenfaktor für uns, der Rhythmus hat uns getragen, war im Gleichschritt mit unserem Spiel. Wir haben gemerkt, dass die Fans hinter uns stehen“, sagt auch Bolz. Was die Lautstärke angeht, sei das eine neue Erfahrung gewesen. „Dass über tausend Fans auswärts nach Berlin mitfahren, ist gewaltig.“ Durch die neue Situation und die Lautstärke des Supports habe sich das Coaching etwas verändert, sagt er. „Du konntest nicht mehr einfach reinrufen, sondern musstest einen ruhigen Moment abwarten und noch mehr direkt coachen und schnell kommunizieren. Wir mussten auch neben dem Platz konzentriert bleiben, das hat den Fokus noch einmal geschärft.“
Einen Push auf dem Platz hat Kapitänin Stöckmann durch die Unterstützung gespürt: „Das war einfach Gänsehaut pur“, sagt sie. „Wir haben auf Unterstützung gehofft. Das hat uns viel Kraft gegeben. Die Choreo im Hinspiel war super, und von der Seitenlinie dauerhaft besungen und beklatscht zu werden, setzt nach einer langen Saison noch mal Energie frei.“ Auch in Berlin sei der Support beeindruckend gewesen. „Vor so einer Kulisse gibt einem das noch mal richtig Kraft, alles für das Team und den Verein zu geben.“
Der Erfolg ist das Ergebnis der Arbeit der vergangenen Jahre. Seit 2021 hat sich im Frauenfußball beim HSV einiges verändert. „Wir haben vor allem die Infrastruktur professionalisiert“, sagt Schimpf, die die Professionalisierung in vielen Bereichen vorangetrieben hat. „Wir haben in jedem Team die Trainerteams neu zusammengestellt und jede Mannschaft in den Leistungsbereich überführt.“ Dafür wurden die Kader verändert, fortan spielen nur noch Spielerinnen beim HSV, welche die Fähigkeiten und Eigenschaften für den Leistungsbereich mitbringen.
Außerdem wurde die Trainingsphilosophie in sämtlichen Teams optimiert: „Wir haben die Trainingsphilosophie der ersten Frauen nach und nach in die Nachwuchsteams mitaufgenommen.“ So lernen die Spielerinnen schon früh, worauf es in den oberen beiden Teams ankommt. Schimpf nennt hier konkrete Beispiele: „Wir arbeiten überwiegend mit unterschiedlichsten komplexen Spielformen und sorgen damit dafür, dass die Spielerinnen der Nachwuchsmannschaften spielerisch für die Anforderungen des Spiels gewappnet sind.“ Dadurch seien alle Spielerinnen, die zu den oberen Mannschaften kommen, viel beweglicher, dynamischer und handlungsfähiger, ergänzt sie. „Auch dadurch haben wir in den letzten Jahren viele Spielerinnen nach oben geführt.“
Auch das Schultraining wird gesteuert und ist an den Leistungssport angepasst. Die am weitesten reichende Partnerschaft hat der HSV mit dem Gymnasium und der Stadtteilschule am Heidberg in Langenhorn. Bei den ersten Frauen gibt es eine Spielerinnen-WG direkt in der Nähe der Sportstätte. Schule, pädagogische Betreuung und Training werden so ermöglicht. „Das sind professionelle Strukturen“, sagt Schimpf. Mit Lisa Baum, Annaleen Böhler, Melina Krüger und Melina Bünning leben dort vier Junioren-Nationalspielerinnen.
„Der Support war Gänsehaut pur."
Sarah Stöckmann, Kapitänin
Grundstein des Erfolges: die Jugendarbeit
Die Durchlässigkeit für Nachwuchsspielerinnen ist hoch: „Ungefähr achtzig Prozent der Spielerinnen aus der ersten Mannschaft haben schon in unserer Jugend gespielt“, sagt Schimpf. Dazu zählen auch solche, die zwischendurch bei anderen Vereinen spielten. Lela Naward, Victoria Schulz, Svea Stoldt, Marlene Deyß, Irma Schittek und Nele Karowski haben früher in der U 17 des HSV gespielt. Auch sonst holt der HSV Spielerinnen aus Norddeutschland, so kam U‑19-Nationalspielerin Melina Krüger in diesem Sommer vom 1. FFC Magdeburg nach Hamburg.
Den Weg hin zu noch mehr Nachwuchsarbeit ist auch Kapitänin Stöckmann, die seit 2019 beim HSV spielt, mitgegangen. „Auch damals wollte der HSV den Frauen- und Mädchenfußball mehr unterstützen. 2021 hat die Neubesetzung des Trainerpostens mit einem hauptamtlichen Trainer und die Erweiterung des Staffs mit Athletiktrainern und anderen physiotherapeutischen Möglichkeiten professionelle Strukturen geschaffen.“ Auch dadurch konnte man junge Spielerinnen überzeugen, zum HSV zu kommen.
Stöckmann ist mit 30 Jahren eine der älteren Spielerinnen im Kader. Als Kapitänin, sagt sie, sei es wichtig, immer wieder in das Team hineinzuhorchen. „Die Spielerinnen befinden sich an unterschiedlichen Standpunkten. Eine 17-Jährige geht noch zur Schule, die 25-Jährige arbeitet ganz normal. Da kommen wir aus verschiedenen Strukturen, da ist es wichtig, mal auf alle ein Auge zu haben und einen gemeinsamen Nenner zu finden.“ Das habe das Team in den vergangenen zwei Jahren gut geschafft: „Da ist etwas richtig Tolles entstanden.“ Dass sich die Altersstruktur veränderte und mehr erfahrene Spielerinnen dazukamen, sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Aufstieg gewesen, sagt sie. „Trotzdem ist es super, dass wir ganz viele junge Talente haben, die sehr offen und lernbereit sind.“
„Innerhalb der vergangenen zwei Jahre sind die Leistungsfähigkeit und der Anspruch der Spielerinnen enorm gestiegen. Auch die Aufmerksamkeit im HSV und die Aufmerksamkeit der Fans hat sich erhöht. Das gibt uns viele Möglichkeiten“, sagt Trainer Bolz. Dass jede Spielerin noch besser werden möchte, habe er auch in der Vorbereitung auf die Zweitligasaison gemerkt. „Zwei Jahre lang wollten wir unbedingt aufsteigen. Da hatten wir Druck und sind gut damit umgegangen, das werden wir jetzt auch schaffen. Wir streben weiter danach, so gut wie möglich zu sein.“
In der zweiten Liga bleiben die Ausbildung und die Weiterentwicklung der Spielerinnen wichtig. „Wir müssen den jungen Spielerinnen Fehler zugestehen, aber wir können eine gute Rolle spielen“, sagt Schimpf und ergänzt, für den nächsten Entwicklungsschritt der Spielerinnen sei der Aufstieg wichtig gewesen. „Für unsere Spielerinnen und unseren Verein ist das der nächste logische Schritt, weil wir infrastrukturell auch viel investiert haben.“
Auch vom Aufstieg der U 23 aus der Oberliga in die Regionalliga profitiert der Verein. „Für unsere U‑17-Spielerinnen war der Aufstieg extrem wichtig. Wir können unsere Spielerinnen in der Regionalliga besser weiterentwickeln als in der Oberliga.“ Auch verletzte Spielerinnen aus der ersten Mannschaft könne man so wieder gut an das Zweitligateam heranführen. „Das ist ein wichtiger Schritt für unsere Strukturen.“
„Wir wollen jede Spielerin voranbringen, besser machen und weiterentwickeln. Das ist unsere große Aufgabe“, sagt Bolz zum eingeschlagenen Weg. „Wir haben ein junges Team, aber auch erfahrene Spielerinnen. Die jüngeren haben teilweise auch schon viel Erfahrung gesammelt.“ Die Mischung aus jüngeren und etwas älteren Spielerinnen sei auch für das Teamgefüge wichtig. „Die Erfahrenen geben an die Jüngeren weiter, wie man in jedem Training die Qualität auf den Platz bringt.“
In der Vorbereitung auf die zweite Liga ging es nach der Eingewöhnung der Zugänge vor allem darum, das Spieltempo zu erhöhen. „Wir wollen in unserem Spiel einen Schritt weiterkommen, den Ball schneller bewegen und noch effektiver werden.“ In der Liga gehe es laut Bolz zunächst darum, anzukommen, und langfristig darum, konstant zu punkten.
„Als Aufsteiger muss man demütig auftreten, die zweite Liga ist auch eine Wundertüte. Es gibt viele Zweitvertretungen und mit Potsdam und Meppen zwei Absteiger, die schwer einzuschätzen sind“, sagt Stöckmann. Das eigene Team habe aber die Qualität, eine gute Rolle in der zweiten Liga zu spielen. |