Einmal HSV, immer HSV: Auch nach der aktiven Karriere drückt Claudia Graberg dem Verein die Daumen.
Berlin, Berlin, sie fuhren nach Berlin!
Claudia Graberg war 2002 beim bislang größten Erfolg der HSV-Frauen dabei: dem Pokalfinale in Berlin. Mehr als zwanzig Jahre später blickt sie in ihrem Fußballkeller mit HSV-Theke auf ein besonderes Team und eine bewegte Zeit des Frauenfußballs zurück – und will jetzt noch einmal die Fußballschuhe schnüren.
Es regnete in Strömen, es stand 5:0 für den Gegner. Und doch feierten Claudia Graberg, die damals noch Schulz hieß, und ihre Freundinnen an diesem klatschnassen Mai-Tag im Jahr 2002. Lautstark und zu Recht, denn das hier war Berlin, Berlin, die Stadt, in die beim Pokal-Fußball in Deutschland bis zum Umzug nach Köln schließlich alle wollten. Damals lief das Spiel sozusagen noch im Vorprogramm des Endspiels der Männer. Doch das sorgte für riesige Zuschauerzahlen für damalige Verhältnisse. Und so feierten 20.000 Zuschauende den Seriensieger FFC Frankfurt genauso wie die Rothosen bei deren erstem und einzigem Pokalfinale, dem größten Erfolg in der Geschichte der HSV-Frauen.
Vorbilder Matthäus, Häßler und Littbarski
Claudia Graberg liebt den Fußball, seitdem sie denken kann. Damals, beim Aufwachsen in Eimsbüttel zwischen Volkspark und Außenalster, als sie noch Claudia Schulz hieß, da kam sie zum Fußballverein Grün-Weiß Eimsbüttel und fand sofort ein zweites Zuhause. Ihre Vorbilder waren damals ausschließlich Männer. Denn der Frauenfußball steckte Mitte der 1980er-Jahre noch in einer absoluten Nische. Kaum öffentliches Interesse und die mediale Berichterstattung überschaubar. Die Dynamik von Lothar Matthäus, die Wendigkeit und die Finesse von Thomas Häßler und Pierre Littbarski, das faszinierte sie. „Stabile Typen, eher klein, damit konnte ich mich identifizieren“, sagt Graberg rückblickend.
Sie hat dann 1996 ein Testspiel mit Grün-Weiß gegen den HSV gespielt. „Nach dem Spiel hat mich jemand vom HSV angesprochen, ob ich mir einen Wechsel vorstellen kann“, sagt Graberg. Danach hat die Familie das kurz besprochen, die Eltern waren stolz, die Tochter aufgeregt – und schnell war klar: Das machen wir. Damals hatte die junge Claudia noch keinen Führerschein, der Weg zum Trainingszentrum war weit. Und doch: „Ich hatte einen super Start“, sagt die Frau, die damals alle nur „Cloda“ nannten. Sie sei ein lockerer Typ gewesen, immer ein Lächeln, auch mal einen Scherz, das habe ihr den Anfang erleichtert. Und dass sie die einzige Linksfüßerin im Team war. Ein Jahr später kam dann noch ihre beste Freundin Svenja Cohn zum HSV. Claudia bekam nicht nur 150 Euro im Monat und den Trainingsanzug der Marke Fila, sondern leihweise auch einen kleinen Opel Corsa und 20 Pfennig Kilometergeld. „Das war super“, sagt sie. Bedingung damals aber: Sie musste zwei Spielerinnen zum Training mitnehmen. „Ich war einfach stolz, beim HSV zu spielen, mit meinen besten Freundinnen.“ An eine Karriere im Fußball, mit echtem Einkommen, mit dem man vielleicht sogar ausgesorgt hätte, daran war damals nicht zu denken. Fußball war deswegen immer ein Hobby, mit voller Leidenschaft und manchmal an sechs Tagen in der Woche. Das Studium nebenher zog Claudia Graberg natürlich durch, unterrichtet heute Vorschulkinder an einer Hamburger Grundschule.
»Ich war einfach stolz, beim HSV zu spielen, mit meinen besten Freundinnen.«
Claudia Graberg
Die Erinnerungen an die Zeit beim HSV hat Claudia Graberg in Leitz-Ordnern und Fotoalben konserviert.
Im Keller entsteht ein eigener HSV-Raum
Claudia Graberg erzählt von alldem im Reihenhaus in Eidelstedt. Sie hat heute extra eine HSV-Decke aufs beige Sofa gelegt, die sonst nur an Spieltagen herausgeholt wird. Auf dem Couchtisch: ihr Fotoalbum des Pokalfinales mit Schnappschüssen und Zeitungsausschnitten. Ein paar davon könnten bald im HSV-Keller hängen, sagt die ehemalige Bundesligaspielerin und geht die schmale Treppe ins Untergeschoss hinunter. Im Haus hatten einst die Eltern ihres Mannes gelebt, im hinteren Kellerraum hatte der Opa sich einen besonderen Tresen gebaut: mit selbst geschreinerter HSV-Raute, Ehrensache für den Tischler und begeisterten HSV-Fan. In ein paar Tagen kommen die Handwerker, machen die früher holzvertäfelten Wände schön. Neue Lampen, Klappsessel wie im Kino, eine kleine Bar und natürlich ein Fernseher – dann laufen die HSV-Spiele bald hier bei den Grabergs im Keller. Was als Deko an die Wände und auf den Tresen kommt, ist noch nicht ganz klar. Die Actionfigur von Benny Lauth eher nicht, das eigene rote Trikot mit der Nummer 21 aus dem Pokalfinale wird aber ziemlich sicher einen Ehrenplatz finden.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin
Es war eine skurrile Situation für die HSV-Frauen in der Saison 2001/2002: In der Liga lief es gar nicht, sie lagen auf einem Abstiegsplatz. Und dann kam auch noch Turbine Potsdam auf die damalige Wolfgang-Meyer-Sportanlage, den heutigen Sportpark Eimsbüttel. Der HSV war der Außenseiter, doch der Support der mehr als 1500 Fans, manche sogar mit Bengalos am Rand, pushte die Spielerinnen. 3:2 gewann der HSV – und das Team rief hüpfend: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Claudia Graberg wurde damals spät eingewechselt. „Das hat mich schon gewurmt, ich war extrem ehrgeizig“, sagt sie heute in der Rückschau.
Und dann ging es also los. Vorbereitung auf das große Finale in Berlin. Claudia Graberg und der Rest vom Frauenteam stiegen in den schwarz-blau-weißen HSV-Bus, mit AOL-Werbung, sonst den Männern vorbehalten. Am Steuer: Jürgen Ahlert, der langjährige Busfahrer und Teammanager der HSV-Profis. Es war auch seine erste Fahrt für die Frauen. Mit dem Bus ging es in ein Kurztrainingslager. „Irgendwo im Grünen, ich weiß es gar nicht mehr“, sagt Claudia Graberg und lacht. Und dann in ein schickes Hotel in Berlin. Vorfreude? Und wie! Siegchancen? „Null“, sagt Claudia Graberg heute und muss noch mehr lachen. Der damalige Gegner, der FFC Frankfurt, sei damals schließlich das Team schlechthin gewesen. Das hatte in der ersten Pokalrunde gleich mal 20:0 gegen Karlsruhe gewonnen und auch danach keinen Gegentreffer mehr auf dem Weg ins Finale kassiert. Und trotzdem war die Vorbereitung der HSV-Frauen professionell. „Wir wollten allen zeigen, dass wir etwas können, dass wir besser sind als der Tabellenplatz in der Liga, und dass wir zu Recht im Finale standen“, sagt Claudia Graberg. Den Leuten vor den Fernsehern, den aus Hamburg mitgereisten im Stadion, einfach allen. Voller Euphorie trainierten sie dann am Tag vor dem Spiel im Stadion, trafen dort noch die Männer von Schalke 04 mit Trainer Huub Stevens. Der „Knurrer von Kerkrade“, für seine manchmal bewusst herausgestellte schlechte Laune bekannt, wünschte den Frauen viel Glück.
Das Spiel? Ist relativ schnell erzählt. Im Frankfurter Team spielten so bekannte Namen wie Renate Lingor, Nia Künzer und Steffi Jones. Und natürlich Birgit Prinz, damals die Ausnahmespielerin, die im Finale drei Tore erzielte. Für Frankfurt war es der vierte Pokalsieg in Folge. Claudia Graberg kam zur Pause ins Spiel, lange hielt das Team ein 0:2, bis die Kraft nachließ und die Frankfurterinnen in den letzten zehn Minuten noch drei Treffer erzielten.
„Wir haben trotzdem jeden Moment genossen“, sagt Claudia Graberg. Und tatsächlich, schaut man auf die Bilder von damals und in alte Berichte aus „Mopo“, „Bild“ und „Kicker“, sieht man recht routiniert feiernde Frankfurterinnen – und überschwänglich jubelnde Hamburgerinnen im nassen Berliner Olympiastadion. Danach haben sie noch Schalkes Sieg unter Huub Stevens gegen Leverkusen angeschaut, bevor es zur nächsten Feier in die Hamburger Botschaft in Berlin ging. Auf einem Foto sieht man die jungen Frauen mit HSV-blauen Zungen. „Es gab Blue Curaçao“, sagt sie und lacht.
„Das war ein besonderes Team damals“, sagt Claudia Graberg. Praktisch alle kamen aus Hamburg, mit vielen hatte sie schon in Auswahlmannschaften gespielt, mit manchen sogar seit der Einschulung. „So etwas gibt es heute nicht mehr“, ist sich Graberg sicher.
»Wir wollten allen zeigen, dass wir etwas können und dass wir zu Recht im Finale standen.«
Claudia Graberg
Das Trikot aus dem Finale hat Claudia Graberg aufgehoben. Für den Fototermin auf dem Fußballfeld streift sie es sogar noch einmal über.
Der Frauenfußball ist viel professioneller geworden
Der Frauenfußball hat sich seit diesem regnerischen Samstag im Mai 2002 verändert. Beim HSV, aber auch sonst. Das Pokalfinale etwa ist längst aus dem Vorprogramm der Männer verschwunden, das letzte Finale in Köln war mit mehr als 45.000 Zuschauenden ausverkauft. Beim HSV lief es wechselhaft, nach dem Pokalfinale 2002 stieg man aus der 1. Liga ab, um direkt im nächsten Jahr wieder aufzusteigen. Der Konkurrenzkampf im Team wurde größer, die Spielzeit für Claudia Graberg nach der Pokalsaison weniger, sie wechselte in die zweite Mannschaft, spielte später noch beim Niendorfer TSV und beim Hamburg Eimsbütteler Ballspiel Club (HEBC), wo sie als Kind ihre Karriere begann und dann auch beendete. Später war sie noch als Trainerin im Jugend- und Frauenbereich aktiv.
Den HSV verfolgte sie weiter. Für den kam 2012 der Schock: Als der HSV von der Insolvenz bedroht war, meldete man die Frauen-Bundesligamannschaft vom Spielbetrieb ab. Undenkbar heute und ein „Fehler“ der damaligen Führung, wie der heutige Finanzvorstand Eric Huwer kürzlich sagte. 2016 ging es sogar runter in die Verbandsliga. Der Weg zurück war lang – aber im Sommer 2025 feierte das Team den Aufstieg in die Bundesliga, 13 Jahre nach der Abmeldung.
Einige aus dem Team von damals sind noch im Fußball aktiv, die Bekannteste ist Britta Carlson, ehemalige Co-Trainerin der deutschen Nationalmannschaft und heute Trainerin des 1. FC Köln. Claudia Graberg besucht regelmäßig die Spiele ihrer Nachfolgerinnen. Manche kennt sie besonders gut, etwa Abwehrspielerin Emilia Hirche, die sie als Stützpunkttrainerin an der Sternschanze ausbildete. Und im Frühling war sie natürlich im Volksparkstadion, mit 57.000 anderen, beim Halbfinalspiel im DFB-Pokal gegen Werder Bremen, das die Rothosen in der Verlängerung verloren. „Was für ein Spiel, was für eine Kulisse“, sagt Graberg über die Partie, die damals einen neuen Rekord für ein Vereinsspiel im Frauenfußball in Deutschland bedeutete. Sie freut sich, dass die HSV-Frauen jetzt dauerhaft im Volksparkstadion spielen.
Immer die Raute
Viel ruhiger ist es an diesem Herbstmittag auf dem Trainingsgelände von Grün-Weiß Eimsbüttel. Claudia Graberg blickt hier zurück und nach vorn. Hier, wo vor Kurzem noch zwei Aschenplätze waren, hat der Verein neue Kunstrasenplätze gebaut. Und hier wird auch die sportliche Zukunft der Nummer 21 aus dem Pokalfinale 2002 liegen. Grabergs Tochter ist jetzt sechs Jahr alt. Der und auch sich selbst will es die ehemalige Bundesligaspielerin jetzt noch einmal beweisen. Sie fängt wieder mit dem Kicken an, startet jetzt für die dritte Mannschaft ihrer alten Heimat. „Ich hab’ richtig Lust, fühl mich fit und habe auch meinen Ehrgeiz noch nicht verloren“, sagt Graberg und lächelt. Und sie erzählt, dass ihre Tochter direkt mit ihr zusammen startet. Dann jongliert sie ein bisschen mit dem Ball auf einem der neuen Kunstrasenplätze und drischt die Kugel in die Maschen. Ein Gruß noch an den Platzwart, man kennt sich hier, dann geht es weiter.