SPIELFELD

Victoria und Willi Schulz

Text: Gerd Schild · Fotos: Lucas Wahl

Die HSV-Familie

Willi Schulz ist eine Hamburger Legende, und auch seine Enkelin gewann mit den HSV-Frauen gerade die Herbstmeisterschaft und träumt von der ersten Liga. Auch abseits vom Platz haben sie einiges gemeinsam. Die Geschichte einer eng mit Stadt und Verein verbundenen Familie.

Nur Augen für den Ball: HSV-Spielerin Victoria Schulz

Im großen Garten steht ein Fußballtor, Aluminium, fünf Meter breit, zwei Meter hoch. „Ein Geschenk“, erzählt Victoria Schulz. Zum 14. Geburtstag muss das gewesen sein, erinnert sie sich. Im linken oberen Eck wackelt die Metallverstrebung im Wind. „Die habe ich einmal genau getroffen – Peng, war sie weg“, sagt sie und lacht. Wir treffen Victoria Schulz im Haus ihrer Mutter im Hamburger Stadtteil Langenhorn, die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein in Sichtweite. Hier ist sie mit ihrem Bruder bei der Mutter aufgewachsen. Die Küche ist ein Monolith in elegantem Schwarz, dazu pinkfarbene Barhocker. Der Blick nach draußen fällt gleich auf das Fußballtor.

In diesem Garten haben sie viel gespielt. Der Bruder Robin, drei Jahre älter, und sie. Einmal, da war sie wohl drei Jahre alt, bekam sie einen Ball von ihrem Bruder ins Gesicht. Ein paar Tränen – weiter ging es. Es ist die erste Erinnerung an den Fußball, der sie danach nicht mehr loslassen würde. Mit neun Jahren hat Victoria Schulz angefangen, im Verein zu spielen, direkt beim HSV. „Fußball war fast alles damals“, sagt sie. Jede Pause auf dem Schulhof, jeden Nachmittag im Garten. Heute ist die Frau, die mehrere Jahre auch Kapitänin war, eine Garantin für den Erfolg des ersten Frauenteams des HSV, das Anfang 2024 auf einem Aufstiegsplatz in Richtung erste Liga steht.

„Es war erkennbar, dass sie Talent hat.“

Willi Schulz

Den Fußball in die Wiege gelegt bekommen

Ganz überraschend ist es nicht, dass der Fußball so wichtig ist für Victoria Schulz. Denn damals kam auch regelmäßig der Opa die 300 Meter die Straße runter, um mit der Enkelin zu kicken. Hier war er Opa Willi. Der schoss auch mal einen Ball über den Küchentisch – und in die Blumen und Sträucher im Garten sowieso, alles nicht so schlimm, das gehörte dazu. Dass der Opa Willi Schulz heißt und in Hamburg, wenn es um HSV-Legenden geht, bald nach Uwe Seeler kommt, das merkte Victoria natürlich. Einmal, da waren sie zusammen Fußballschuhe kaufen in der Stadt. „Das hätte eigentlich nur zehn Minuten gedauert. Ich glaube, wir waren nach drei Stunden wieder raus“, sagt Victoria Schulz. Jeder wollte ein Foto mit Willi Schulz oder eine Geschichte aus den guten alten Zeiten von diesem so schlagfertigen Erzähler aus dem Pott, der zu einem Hanseaten wurde.

Aus der Öffentlichkeit hat sich der 85-Jährige weitestgehend zurückgezogen. Der Mann, der nie um eine knackige Antwort verlegen war, konnte beim Termin mit der Enkelin nicht dabei sein, nahm sich aber Zeit, einige Fragen schriftlich zu beantworten.

Willi Schulz erinnert sich gern an die Spielrunden im Garten. Victoria habe schon sehr früh angefangen, Interesse an Spielverhalten und Taktik zu zeigen. Zudem schoss sie stets mit beiden Füßen. „Beidfüßigkeit war in erfolgreichen Karrieren schon immer ein signifikanter Faktor und wird es auch in Zukunft immer sein“, sagt Willi Schulz, ganz der Fußballkenner. An eine Karriere dachte er damals noch nicht. Druck gemacht hat der Opa der talentierten Enkelin nie. „Er wusste ja, was es für die Familie bedeuten kann“, sagt diese.

Willi Schulz darf man zu Recht eine Hamburger Legende nennen. Dabei ist er eigentlich ein Kind des Ruhrgebiets. 1938 in Wattenscheid geboren, bei Union Günnigfeld ausgebildet, spielte er ab 1960 für die Königsblauen auf Schalke.

In Gelsenkirchen galt er als Mittelläufer, in Hamburg wurde er ab Mitte der 1960er-Jahre zu einem der besten Verteidiger seiner Zeit. Von der brasilianischen Legende Pelé ist die Pointe überliefert, dass das Leben noch schöner wäre, gäbe es nicht so beinharte Gegenspieler wie Schulz. Eine Rote Karte hat Schulz in 14 Jahren Karriere trotzdem nie bekommen, darauf ist er bis heute stolz. Bei der WM in England wäre er fast Weltmeister geworden – doch der Fußballgott war dagegen. Mitgenommen aus Wembley hat er damals zwar nicht die goldene Trophäe, aber einen Spitznamen, der viel Respekt erkennen lässt: World-Cup-Willi. 66 Länderspiele absolvierte Schulz in seiner Laufbahn. Für die großen Pokale reichte es auch mit dem Verein nicht: Einmal war er mit dem HSV im DFB-Pokalfinale, und gegen AC Mailand setzte es 1968 eine Niederlage im Finale des Europapokals der Pokalsieger. Immerhin: 1973, praktisch mit dem Rücktritt, gab es noch den neu gestarteten Ligapokal.

Ein geborener Kaufmann

Vielleicht passte Willi Schulz auch so gut nach Hamburg, weil er ein geborener Kaufmann war. Hatte er schon im Ruhrpott neben dem Sport ein Geschäft, eine Kneipe und einen Kiosk aufgebaut, sicherte er sich beim Wechsel nach Hamburg eine Versicherungsagentur – statt des damals üblichen Handgelds. Auch nach dem Ende der fußballerischen Karriere war Willi Schulz lange eine prägende Figur für den HSV, zeitweise sogar als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates. Er hat einmal in einem Interview gesagt, dass er, könne er das Leben noch mal leben, in jedem Fall seine Frau wieder heiraten und sicher zum HSV nach Hamburg gehen würde. Und auch das Unternehmen würde er weiter ausbauen: Zehn Mitarbeitende kümmern sich in der Firmengruppe heute um Versicherungen, Finanzen und Immobilien.

Den Karriereweg der Enkelin hat er immer verfolgt. „Es war erkennbar, dass sie Talent hatte.“ Er war oft bei ihren Spielen auf der Paul-Hauenschild-Sportanlage, nur ein paar Minuten vom eigenen Zuhause in Norderstedt entfernt. Und er nahm sie regelmäßig mit ins Stadion. Beim Blick in ein Fotoalbum der Familie erinnert Victoria Schulz sich zurück: Ein Foto zeigt den Opa mit den beiden Enkelkindern bei einem Stadionbesuch im Volkspark. Die Kinder glücklich, der Opa stolz.

Blick ins Familienalbum: Victoria teilt die Leidenschaft für den HSV mit Opa Willi

Victoria Schulz hat immer einen Fußball im Auto, falls sich mal die Gelegenheit bietet, irgendwo zu kicken. Es ist der Spaß am Spiel, am Miteinander und die Lust, alles aus sich herauszuholen, die sie beim Sport gehalten haben. Denn: Als Spielerin in der 2. Bundesliga bekommt Victoria Schulz zwar seit einiger Zeit auch Geld; um für das Leben nach dem Fußball vorzusorgen, wie es heute bei vielen Profifußballern zumindest in der Theorie möglich ist, reicht es aber nicht. Dazu passt der Rat des Großvaters, ein „zweites Standbein und die berufliche Perspektive im Blick zu behalten“.

Immer die Extrameile gehen

Nach der Schule machte Victoria Schulz eine Ausbildung zur Immobilienkauffrau, fügte dieser ein berufsbegleitendes Intensivstudium an, blieb sieben Jahre im Unternehmen und verantwortet seit Jahresbeginn die Immobiliensparte bei einer Unternehmensberatung. Viermal pro Woche Training, am Wochenende teilweise weite Auswärtsfahrten, dazu der Vollzeitjob: Wie macht sie das? „Ich versuche, bei allem, was ich mache, das Beste zu erreichen, möchte mich immer weiterentwickeln und Herausforderungen meistern. Daher gebe ich mich nicht so leicht damit zufrieden, dass Dinge theoretisch nicht machbar sind“, sagt sie. Mit der Einstellung geht es leichter, auch mal müde aufzustehen oder im Training die Extraprozentpunkte zu investieren.

Ihre Stärken als Mensch und als Fußballerin? Hier lässt sich die gedankenschnelle Frau das erste Mal etwas mehr Zeit. Sie sei ehrgeizig, könne locker auf Menschen zugehen und habe gelernt, auch unter großem Druck fokussiert zu bleiben und ihrem In­stinkt zu vertrauen. Und natürlich: „Ich habe wohl einen Torriecher“, sagt sie, nach ihren fußballerischen Stärken gefragt. Der Opa meint: „­Victoria vertritt gute und richtige Werte und scheut sich nicht, dafür oder für Mannschaftskolleginnen und Freunde einzustehen.“ Das gelte auch für den Beruf und die Familie. Und das mit dem Torriecher unterschreibt er natürlich auch. Zuletzt hat sie etwa bei einem ganz besonderen Spiel getroffen, dem 7:1-Sieg im DFB-Pokal gegen den FC St. Pauli vor fast 20.000 Fans am Millerntor.

Auch den Opa freut der Erfolg: „Ich bin natürlich extrem stolz“, sagt Willi Schulz. Er verfolge die Ergebnisse und lasse sich die Spielverläufe von Vicky, wie er die Enkelin nennt, berichten. Natürlich habe er dann an der ein oder anderen Stelle auch einen großväterlichen Rat parat, beim Umgang mit Druck etwa. Besonders glücklich ist er darüber, dass mit Vicky die Verbundenheit zum HSV in einer weiteren Generation fortgeführt wird.

„Ich habe wohl einen Torriecher.“

Victoria Schulz

Der Blick zurück

Willi Schulz mag den Blick zurück nicht, sagt er, auch nicht die Vergleiche mit vergangenen Jahrzehnten. Dass der Frauenfußball zu seiner Karriere praktisch verboten war, darauf will er nicht lange eingehen. Es war eine andere Gesellschaft, ein anderer Zeitgeist – das habe sich, zum Glück, verändert. Er sieht es so: Jede und jeder, die oder der diesen wundervollen Sport spielen möchte, solle das tun dürfen. „Ich bin sehr froh, dass Vicky in einer anderen Generation groß geworden ist und somit von klein auf ihrer Leidenschaft nachgehen konnte.“

Bei einer Sache muss die Enkelin dann doch widersprechen: Der Opa blickt nicht gern zurück? „Doch“, sagt sie und muss lachen. „Opa hat immer gern Geschichten von früher erzählt“, sagt Victoria Schulz. Einer seiner ersten Sätze, an den sie sich erinnert und den sie seitdem oft gehört hat: „Der war nicht drin!“ – Willi Schulz spielt auf einen prägenden Moment seiner Karriere an, das legendäre Wembley-Tor oder, wie er sagen würde, der Schuss von Geoff Hurst, der eben knapp nicht drin war – obwohl es der Linienrichter damals anders sah.

Victoria Schulz bleibt so ehrgeizig, wie der Opa es war. Sie will mit dem HSV das Maximum erreichen. Der perspektivisch nächste Schritt: der Aufstieg in die erste Bundesliga. „Da gehört der HSV hin“, sagt Schulz. Sie sieht eine fantastische Entwicklung, im Team, aber auch im Umfeld. Die Bedingungen werden immer besser. Zudem gilt Trainer Marwin Bolz als Riesentalent. Was für sie aber genauso wichtig ist: „Es macht immer noch einen Riesenspaß – nach den zwei Wochen Winterpause konnte ich es kaum erwarten, die anderen wiederzusehen“, sagt Victoria Schulz. |