SPIELFELD

Fans im Rücken

Interview: Gerd Schild · Fotos: Lucas Wahl

„Die Fans investieren so viel. Davor habe ich einen Riesenrespekt.“

Daniel Heuer Fernandes ist der starke Rückhalt des HSV. Keiner ist so nah an den Fans wie der Keeper, der seit sechs Jahren die Raute trägt. Ein Gespräch über seine Rolle vor der Nord, den Kontakt mit den Fans und ob er selbst ein Ultra sein könnte.

Seit sechs Jahren mit Herz und Raute: Keeper Daniel Heuer Fernandes.

Ein ungewöhnlich sonniger Tag Ende Januar 2025 in Hamburg. Daniel Heuer Fernandes bleibt für ein Foto vor der Raute am Spielertunnel stehen. „Hier stand ich schon einmal – vor sechs Jahren“, sagt der Keeper und lacht. „Ferro“, wie er hier von allen genannt wird, ist einer der Dienstältesten bei den Rothosen – nur Torwartkonkurrent Tom Mickel und Bakery Jatta sind aus dem aktuellen Team länger auf dem Rasen des Volksparkstadions unterwegs. Die „Süddeutsche Zeitung“ nannte den spielstarken Torwart einmal den „Manuel Neuer von Hamburg“. Beim HSV schätzt man zudem seine Mischung aus Ruhe und Emotion. Das zeigt er auch beim Interview, für das wir Heuer Fernandes zu einer kleinen Tour durchs Stadion ­gebeten haben.

Daniel Heuer Fernandes, das Stadion des HSV ist oft voll und immer laut. Als Torhüter sind Sie besonders nah dran, nur ein paar Meter hinter dem Tor stehen die Fans. Wie fühlt sich deren Support während des Spiels eigentlich an?
Wenn ich zum Aufwärmen rausgehe, ist das pure Freude, das kann ich richtig genießen. Beim Einlaufen kurz vor dem Spiel bin ich im Tunnel, da bekomme ich das nicht mehr alles im Detail mit.

Haben Sie ein Ritual, wie Sie die Fans begrüßen?
Ich bin einfach ich, winke ihnen zu, nicht nur denen auf den Stehrängen. Das gehört für mich einfach dazu, dass man sich begrüßt, das ist auch eine Frage des Anstands. Mir ist wichtig zu zeigen: Gut, dass ihr da seid! Durch den Blickkontakt steigert sich dann auch so ein bisschen die Stimmung, da kommt ein Feuer auf. Ein geiles Gefühl.

Suchen Sie dann auch Blickkontakt zu bestimmten Fans, zu Freunden, Ihrer Familie?
Bei Heimspielen schon. Dann schaue ich zu meiner Frau und meiner kleinen Tochter. Aber ich brauche das nicht, um mich sicher zu fühlen – es ist einfach nur schön.

Im Stadion kann es sehr laut werden: Fangesänge, Trommelschläge, Pfiffe, Jubel. Wie kann man das ausblenden, um fokussiert zu bleiben?
Ich weiß gar nicht, ob man das ausblenden muss. Für mich gibt es da nicht zu viele Eindrücke – wegen mir können die Fans so laut sein, wie sie wollen. (lacht)

Daniel Heuer Fernandes ist ein Kind des Ruhrpotts. Er wuchs in Bochum auf, spielte in der Jugend des VfL und beim BVB. Seinen Durchbruch verdankt er Kurzzeittrainer Stefan Effenberg bei Paderborn. Zum HSV kam er 2019. Er musste immer wieder um seinen Platz zwischen den Pfosten kämpfen – nicht immer leicht gegen Konkurrenten wie ­Julian Pollersbeck oder den vom FC ­Bayern verpflichteten Sven ­Ulreich. Doch „Ferro“ hat seinen Weg gemacht. Jetzt steht er auf dem Rasen vor der Nordtribüne und blickt zurück.

Haben Sie als Kind schon davon geträumt, einmal als Profi vor einer solchen Tribüne zu stehen?
Als Kind bin ich mit meinen Eltern und meinem Bruder oft ins Ruhrstadion gegangen. Ich habe da alles aufgesaugt. An Spiele kann ich mich gar nicht groß erinnern, mehr an die Halbzeit, als sich die Spieler Flugbälle zugespielt haben und ich als Kind gedacht habe: Krass, wie stark die sind. Damals war ich noch Feldspieler, da haben mich die Keeper noch nicht so interessiert.

Wann hat sich das geändert?
Als ich in der Jugend des VfL gespielt habe, da schon als Torwart, war ich auch Balljunge und bin dann gern hinters Tor gegangen, weil ich sehen konnte: Wie verhält sich der Torwart, wo steht er. Das war eine spannende Zeit. Und da war ich natürlich auch nah an den Fans.

„Ich pushe die Fans auch mal!“

Daniel Heuer Fernandes

Als Feldspieler kann man auch schon mal achtzig Meter von der Kurve entfernt sein – Sie sind mindestens eine Halbzeit direkt vor der Nord, haben die lautesten Fans 45 Minuten im Rücken. Bringt das mehr Verantwortung für das Miteinander mit den Fans?
Klar bin ich näher an der Nordtribüne dran. Aber ich spüre nicht mehr Verantwortung – das will ich auch nicht. Ich ­pushe die Fans auch mal, aber das machen die Feldspieler ja genauso, durch Gesten oder durch eine Grätsche, die sofort Stimmung reinbringt.

Was kann man als Mannschaft tun, um die Fans für sich zu gewinnen?
Unser Ritual ist es, nach dem Kreis noch mal mit allen elf zur Nord zu gehen und zu sagen: Kommt! Auf geht’s, zusammen! Das sind die kleinen Zeichen, die es braucht für ein Zusammenspiel zwischen Fans und Mannschaft.

Sie treffen die Fans ja nicht nur im Stadion, sondern auch bei Veranstaltungen, Fanclub-Treffs, Formaten wie dem Dialogforum Volksparkett, bei Autogrammstunden, beim Training – und manchmal auch einfach beim Essengehen oder beim Spazierengehen. Ist das gelegentlich auch ein bisschen viel Fankontakt?
Ich bin froh, dass es so viele Begegnungen gibt mit den Fans, das muss ich ehrlich sagen. Der Austausch ist wichtig. So gut wie alle Trainingseinheiten bei uns sind öffentlich – das machen längst nicht alle Vereine so. Ich finde das gut. Manche Leute kommen zu jedem Training, nehmen sich Urlaub und fahren mit uns ins Trainingslager. Sie schauen zu, wollen den Austausch mit uns. Davor habe ich einen Riesenrespekt. Ich glaube, das macht den Verein auch so stark, dass da eine enge Bindung ist. Heute waren wegen der Zeugnisferien wieder richtig viele Kinder da. Und da ist es doch das Mindeste, dass wir etwas zurückgeben – und wenn es nur ein Autogramm oder ein Lächeln für ein gemeinsames Foto ist.

Manchmal verliert auch der HSV – und da gibt es auch schon einmal Wut und Vorwürfe von den Fans. Wie geht man damit um?
Die Emotionen gehören dazu. Und uns ist es wichtig, das ganze Jahr über mit den Fans, auch den organisierten Fangruppen, im Austausch zu sein. Ich mache das oft, und ich mache es gern. So merkt man, wie die Stimmung ist – und es gibt keine eskalierende Situation, wenn es mal nicht so gut läuft.

Die elektrisierende Stimmung der Fans trägt Heuer Fernandes …

… umso stiller wirkt das Stadion, wenn ihre Stimmen fehlen.

„Ferro“ geht mit federndem Schritt die Stufen aus dem Innenraum hinauf, erklimmt mit seinen weißen Sneakern die Nordtribüne. Dass er gerade zwei Stunden Training in den Knochen hat, merkt man dem 32-Jährigen nicht an. In der Tribünenmitte lehnt er sich auf eine der mit vielen Aufklebern geschmückten Metallstangen, reckt die Arme nach oben und ruft „Heuer Fernandes“ als kurzen Schlachtruf. „Fühlt sich komisch an“, sagt er, und muss lachen.

„Auf der Tribüne würde ich möglichst weit oben stehen.“

Daniel Heuer Fernandes

Es gibt unzählige Fantypen beim Fußball. Angenommen, Sie könnten einen Spieltag tauschen und wären einfach Fan auf der Nord – wie würde man Daniel Heuer Fernandes dort erleben, eher stiller Beobachter oder Ultra?
Spannend, ja … (überlegt einen Moment) Ich würde wahrscheinlich möglichst weit oben stehen, um einen guten Überblick über die Bewegungen der Spieler auf dem Feld zu haben. Aber wer mich auf dem Feld kennt, weiß, dass ich wahrscheinlich auch emotional werden würde. (lacht)

Fans zeigen auf viele Arten Zuneigung im Stadion: La-Ola-Wellen, Schlachtenrufe, Choeros, Szenenapplaus. Welche ist Ihnen die liebste?
Nach dem Spiel gemeinsam mit den Fans feiern zu können, wie kürzlich nach dem Auswärtssieg in Berlin mit 20.000 HSV-Fans im Stadion, das ist pure Freude, das sind Glücksgefühle, das ist das, wofür du Fußball spielst. Und das sind natürlich Momente, die du maximal oft erleben willst.

Welche Erinnerung an einen Moment mit den HSV-Fans im Stadion sorgt bei Ihnen noch heute für Gänsehaut?
Puh, das waren so viele. Aber heraus ragt vielleicht das 3:0 gegen Hannover 96 im Jahr 2019 unter Dieter Hecking. Da gab es gerade die Thematik rund um Baka (dem Gambier Bakery Jatta wurde Identitätstäuschung vorgeworfen, das Verfahren schließlich eingestellt, Anm. d. Red.). Die Fans hatten diese Megafahne für ihn geschwungen, er hat sogar noch eine Bude gemacht und wir haben das Spiel gewonnen. So was vergisst man nicht.

Sie sind mit 32 Jahren im besten Torhüteralter. Wenn irgendwann das Karriereende ansteht – wie stark werden Sie dieses Gefühl im Stadion vermissen?
Ich trenne hier zwischen meinem privaten und beruflichen Leben. Ich liebe unsere Fans. Als Fußballer brauche ich den Support, der gibt Kraft, der pusht, der bringt Energie in ein ganzes Stadion. Aber ich brauche das nicht für mein Privatleben, um glücklich zu sein. Wenn ich also einkaufen gehe, ohne erkannt zu werden, ist das völlig okay für mich. (lacht) |