SPIELFELD

Groundhopping

Text und Foto: Jan-Frédéric Theeß

Superclásico in Madrid

Im Finale der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League, spielen Boca Juniors und River Plate – und das mitten in Europa.

As sind symbolträchtige Derbys, auf die man hinfiebert. Eines davon: der Superclásico aus Buenos Aires zwischen Boca ­Juniors und River Plate. Der heilige Gral des Weltfußballs. In dieser Saison trafen sich beide nicht nur in der heimischen Primera División, sondern auch im Finale der Copa Libertadores, der südamerikanischen ­Champions League. Mehr geht nicht.

Das Rückspiel wird abgesagt

Es wird Hin- und Rückspiel ausgetragen, keine Auswärtstorregelung. Nachdem das Hinspiel unentschieden ausgegangen war und das Rückspiel kurzfristig terminiert wurde, saß man im heimischen Sessel, um das Finale zu zelebrieren. Doch das wurde nicht angepfiffen, sondern immer wieder verschoben, dann endgültig abgesagt.

Die Boca Juniors mussten im Estadio Monumental bei River antreten, als im Flaschen- und Steinhagel Scheiben des Mannschaftsbusses zu Bruch gingen, die Polizei ballerte Tränengasgranaten. Drei Boca-Spieler wurden verletzt. Man munkelt, der Angriff sei die Antwort auf die Festnahme eines Mitglieds der Barra Brava von River im Vorfeld gewesen, bei der neben mehreren Millionen Pesos 300 Tickets für das Endspiel gefunden wurden.

Befreierpokal im Land der Besetzer

Concacaf, der südamerikanische Fußballverband, entschied das Rückspiel nicht auf argentinischem Boden auszutragen, und löste einen Bieterwettbewerb um die Ausrichtung aus. Schnell war Genua im Gespräch, über dessen Hafen vor Jahrhunderten viele italienische Auswanderer aufbrachen und in La Boca, dem Hafenviertel von Buenos Aires, an Land gingen, weshalb die Boca Juniors auch Xeneizes, Genuesen, genannt werden. Zwei Wochen vor der Terminierung die Überraschung: Das Estadio Santiago Bernabéu in Madrid wird Austragungsort. Eine zweifelhafte Entscheidung, das Finale des „Befreierpokals“, so die Übersetzung des Wettbewerbstitels, im Land der Konquistadoren, der ehemaligen Besetzer, auszutragen. In Spanien leben zumindest die meisten Argentinier im Exil.

Argentinier in Spanien

Wenn man es bisher nicht geschafft hat, ein Superclásico zu besuchen, kommt es jetzt vor deine Haustür. Fraglich nur, ob es stattfindet. River Plate fühlte sich seines Heimrechts beraubt und zog vor Gericht. Es gab lange keine Information zur Ticketvergabe. Fünf Tage vor dem Finale gab es zwar noch keine Gerichtsentscheidung, doch wurden endlich Tickets verkauft. 5000 wurden pro Verein in Argentinien angeboten, in Spanien noch mal 20.000 Tickets für die Exil-Argentinier. Der Rest, 30.000 Tickets, sollte an Real Ma­drid gehen.

Drei Tage für zwei Halbzeiten

Glück sicherte mir ein Ticket auf Boca-Seite, achtzig Euro für die günstigste Kategorie. Für Argentinier mit normalem Einkommen ein Viertel des Monatslohns. Trotz Ticket hatte ich Gewissensbisse. Drei Tage vorher traf ich die Entscheidung, Direktflüge lagen preislich im Paralleluniversum. Aber für sechzig Euro war Hamburg–Málaga–Madrid–Málaga–Hamburg eingetütet. Drei Tage Reisezeit für neunzig Minuten Fußball, man muss es wollen.

Südamerikanische Trommeln

Angekommen in Madrid besuchte ich noch den Knaller Segunda División AD Alcorcón gegen CF Reus Departiu in der Vorstadt. Dann ging es zum Stadion, um in die Fanmassen einzutauchen. Die Mannschaftsbusse rollten fünf Stunden vor Anpfiff an. Die Masse tanzte und sang zu südamerikanischen Trommelklängen und schwenkte die bekannten Regenschirme.Nur die typischen Choripan-Stände und Quilmes-Bomben fehlten. Fraglich war, ob die Barra Bravas ebenfalls angereist waren. Der Kopf von La Doce, der Barra Brava Bocas, Rafa di Zeo, hatte seine Ausreise gerichtlich erstritten, nachdem im Vorfeld an spanischen Flughäfen weitere Führungsmitglieder nach Hause geschickt worden waren, verzichtete er aber wohl auf den Trip.

Hoch hüpfende Hinchas

Ungefähr 3500 Tickets wurden pro Verein in Buenos Aires abgesetzt. In den Kurven wurde mit Fahnen und Musikinstrumenten sicht- und hörbar, wer Kosten und Mühen nicht gescheut hatte. Alle zogen mit und das Stadion wurde nicht zum Hexenkessel, aber südamerikanisches Flair kam rüber und reichte für Gänsehaut. Keine Choreografie, dafür hüpften die Hinchas umso mehr.

River Hinchas feierten bis in die Nacht

Auf dem Rasen ein eher unansehnliches Spiel, kaum Torraumszenen, übertriebene Härte, doch es war spannend! Nach neunzig Minuten stand es unentschieden, Boca mit einem Mann weniger auf dem Platz, es ging in die Verlängerung, die River mit einem Doppelpack für sich entschied. Die River Hinchas feierten und erhellten die Nacht mit roten Bengalos.

Wir waren überrascht, wie gut die Atmosphäre war, sicherlich nicht mit dem Spektakel aus Buenos Aires vergleichbar, aber für eine kurzfristige Ansetzung fern der Heimat Wahnsinn. |