TRIBÜNE

Aktive Fanszene

Text: Jan Walter Möller

Fangerechter Fußball

Anstoßzeiten, Fanorganisationen, Videobeweis, Auswärtsfahrten, Pyrotechnik – das alles und noch viel mehr bewegt unsere Ultras: Ein Gespräch mit der aktiven Fanszene des HSV.

Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadien, aber auch durch die TV-Übertragungen geht, dem wird auffallen, dass es seit geraumer Zeit einen immer größeren Protest (hör- und sichtbar) in den deutschen Fußballarenen gibt.

Für wen der Stadionbesuch nicht nur ein Spaßevent mit Folklore, Bier und Ufftata ist, der bemerkt die verschiedenen, oft sehr kreativen Aktionen gegen den angeblichen „Hauptfeind“, den DFB, sei es durch Spruchbänder, durch ein Schweigen der Fans oder mittels lautstarken Wechselgesangs der jeweils sonst rivalisierenden Fanlager im Stadion. Der Protest eint zu 95 Prozent die deutschen Fanszenen in diesem Bereich.

Die Gründe für diesen Protest sind vielfältig, vereinsübergreifend und oft vonseiten des DFB, aber auch der DFL hausgemacht: ein immer weiter zerstückelter Spieltag, ohne Rücksicht auf die Belange der Fans immer weitere Wege, der Versuch, immer neue Märkte/Umsätze zu schaffen. Eine DFB-Führung, die sich durch die Özil- und die Spendenaffäre immer weiter unglaubwürdig macht, und final ein DFB, der die bereits 2011 begonnenen Verhandlungen mit der aktiven Fanszene abrupt abbrach, nachdem der damalige Verhandlungspartner seitens des DFB, Helmut Spahn, einen Beraterjob in Katar angenommen hatte und danach alle Vereinbarungen hinfällig wurden.

Um einmal Klarheit in dieses komplexe Thema zu bekommen, haben wir uns mit Mitgliedern der aktiven Fanszene (AFZ) unseres HSV getroffen, welche die Interessen von uns Fans im „Konsortium“ mit Dutzenden anderen Fanszenen in Deutschland definieren und Aktionen daraus ableiten.

Jan Walter Möller: Moin Jungs, vielen Dank, dass ihr euch Zeit genommen habt, uns für dieses hoch­interessante und brisante Thema zur Verfügung zu stehen. Bitte gebt einmal kurz eine Beschreibung unseres „HH-Konsortiums Fanszene“.

AFZ: Moin! Vorneweg vielen Dank für die Gelegenheit, unseren Zusammenschluss und auch uns selbst vorzustellen. Getragen wird diese Initiative von Cast­aways und bis vor Kurzem auch noch von Poptown. Allerdings stehen wir auch mit anderen Fanclubs und Gruppen im Austausch, um die aktive Hamburger Fanszene möglichst repräsentativ abbilden zu können. Innerhalb des Volksparkstadions sind die Drähte natürlich manchmal etwas kürzer, und wir besprechen uns an Spieltagen. Wir treffen uns aber auch regelmäßig abseits des Stadions, um uns Gedanken zu machen, welche Punkte wir zu bestimmten Themen machen wollen.

Viele Stadionbesucher, aber auch TV-Zuschauer ­sehen die Transparente und hören die lautstarken Proteste, aber auch das beeindruckende Schweigen bei ausgewählten Spielen. Wie funktioniert hier die Koordination und die Zusammenarbeit mit ja doch teilweise sich sehr feindlich gegenüberstehenden Fanszenen?

Den Ursprung hat die Bewegung ja in Dresden genommen, mit dem Auftritt in Karlsruhe. Dort laufen auch heute noch viele Fäden zusammen. Die Zusammenarbeit kann man als sehr konstruktiv bezeichnen. Es ist ganz sicher nicht so, dass dort alle mit der geballten Faust in der Tasche sitzen und nur auf Stress warten. Uns ist bewusst, dass wir nicht mehr viele Versuche haben werden, das Stadionerlebnis wieder fanfreundlicher zu gestalten. Dementsprechend dürfen Rivalitäten in diesem Bündnis keine Rolle spielen. Außerdem schickt jede Fankurve nur wenige Vertreter zu den Treffen, die an wechselnden Orten stattfinden. Das ist ja gewissermaßen auch Teil des Konzepts und auch ein Signal: dass man es schafft, in eine andere Stadt zu fahren, um sich dort mit Fans anderer Vereine an einen Tisch zu setzen und gemeinsame Standpunkte zu entwickeln. Was die Rivalen angeht, so sind die Braun-Weißen kein offizieller Bestandteil dieses Bündnisses, und die anderen werden nicht weiter beachtet. Der Vollständigkeit halber sollte hier auch erwähnt werden, dass es in der Vergangenheit schon häufiger Zusammenschlüsse von Fans gab (Pro 15:30, Pyrotechnik legalisieren, 12:12). Demzufolge ist die Zusammenarbeit mit anderen Fanszenen an sich kein Novum.

Gegen den modernen Fußball, gegen die Zerstückelung von Anstoßzeiten, für die Beachtung von Faninteressen allgemein, für eine vernünftige Lösung des Themas Pyro auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ein Milliardengeschäft, in dem von einem überschaubaren Zirkel von Einzelpersonen, Firmen und sogar Ländern ein Netzwerk geschaffen wurde, welches versucht, den bisherigen Fußball zu einem reinen Investment zu machen, sei es durch eine finanzielle Rendite oder durch das Schaffen einer besseren Außendarstellung. Für diesen Zweck wird das „Produkt“ Fußball immer weiter geschröpft, um eine möglichst große betriebswirtschaftliche Wertschöpfung zu generieren. Wie seht ihr eure Rolle in diesem Geflecht? Mahner, Robin Hood, Oldschool-Fans? Ist es ein Kampf gegen Windmühlen wie bei Don Quichote, der nicht zu gewinnen ist?

Das sind ja gleich zwei Fragen auf einmal. Grundsätzlich möchten wir uns als Bündnis nicht über andere Fans stellen. Von fairen Anstoßzeiten, moderaten Preisen und der Freigabe aller Fanmaterialien profitieren ja nicht nur die Ultras und deren Umfeld, sondern alle HSVerinnen und HSVer, die ins Stadion fahren. Dazu kommen Themen wie der Videobeweis und die 50+1-Regel, die gleichermaßen für Stadionbesucher wie auch für Couchgucker ein Ärgernis darstellen. Deswegen passt der Robin-Hood-Vergleich nicht so gut. Don Quichote passt schon eher. Der findet heraus, dass die Riesen, die er zu bekämpfen glaubt, gar keine Riesen sind, sondern Windmühlen. Analog scheint es, dass der scheinbar übermächtige Verband gar kein Riese, sondern oft nur eine Ansammlung von Windmühlen ist, die widerstandslos ihre Flügel immer schön in den Wind halten und jede Menge Wirbel machen.

Ob dieser Kampf zu gewinnen ist? Die Vergangenheit um die WM 2006 hat gezeigt, welche Ideen damals absurd erschienen und heute trauriger Alltag sind. Wenn wir nun nach vorn schauen, auf die EM 2024, dann wird es sicher schwer werden, sich an irgendeinem Punkt als Sieger und das Ding als abgehakt betrachten zu können. Trotzdem werden wir auch weiterhin aktiv auf Dinge einwirken. Was das bewirken kann, hat uns die Debatte um Montagsspiele gezeigt. Die Proteste in der ersten Liga sind auch in die zweite Liga geschwappt. Dort waren die Montagsspiele seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge der Fans, den wir HSVer in der Vergangenheit nicht so gespürt haben, diese Saison aber umso heftiger. Mit dem Ergebnis, dass in beiden Ligen die Montagsspiele abgeschafft werden. Es ist also vieles möglich, wenn man nur will.

„Vereine dienen Spielern manchmal nur als notwendige Bühne – das war früher tatsächlich mal etwas anders.“

Oft im gleichen Alter wie ihr sind die Protagonisten auf dem Feld in den oberen Ligen. Getrieben natürlich dadurch, dass sich ihr Marktwert steigern muss und entsprechend der des Vereins, verkommen deren Aussagen in Interviews oft zu einem vollkommenen Einheitsbrei, der beliebig in der Bundesliga austauschbar ist. Echte Typen sind größtenteils Fehlanzeige. Existiert hier ein Maulkorb?

Sicherlich sind Interviews und Auftreten ein Stück weit austauschbar und beliebig geworden. Die Ursachen sind vielfältig. Früher hat man sich mühsam durch den Teletext gewühlt, wenn man Transfergerüchte oder Ähnliches lesen wollte, heute gibt es Push-Benachrichtigungen, Whatsapp-Newsletter und Livestreams ganzer Pressekonferenzen, Stichwort Reizüberflutung. Früher wurden sicherlich auch mal langweilige oder austauschbare Dinge gesagt. Die waren es aber nicht wert, gedruckt oder gezeigt zu werden. Heute stellt jeder Verein nach Abpfiff soundso viele Spieler für Interviews ab. Wenn man also heute eine Aussage schon fünfzigmal gehört hat, dann ist sie vielleicht früher auch schon zwanzig- bis dreißigmal gefallen, hat aber in der Berichterstattung gar nicht stattgefunden. Dazu kommen Spieler, die sich selbst als Marke aufbauen. Wenn die dann Modekollektionen, Parfums oder Kopfhörer verkaufen wollen, dann müssen sie aalglatt sein, um bloß keine Angriffsfläche für die eigene Marke oder andere Produkte zu bieten. Vereine dienen in diesem Theater manchmal nur als die gerade eben notwendige Bühne – das war früher tatsächlich mal etwas anders.

Es stellt sich die Frage, ob allen Lesern und Zuschauern bewusst ist, dass die DFL die Interessenvertretung der Vereine ist und nach deren Vorgaben handelt. Wie sieht hier ein Ansatzpunkt direkt bei uns in Hamburg aus? Hat man eine Stimme oder werden wir vor vollendete Tatsachen gestellt? Erfährt man Änderungen direkt oder nur über den Umweg der Presse oder der Kenntnisnahme neuer Tatsachen?

Es war bundesweit zu bemerken, dass Vereinsvertreter die namenlose DFL vorgeschoben haben, ohne dabei das eigene Abstimmungsverhalten zur Diskussion zu stellen. Schuld war immer die große, böse DFL. Da wären wir wieder bei den Windmühlen: Die DFL ist eben doch nur die Summe ihrer Teile und kein übermächtiger Riese. Auch durch das Bündnis merken viele Offizielle, dass dieses doppelte Spiel nicht mehr so einfach funktioniert. In Hamburg haben wir auch nach der Ausgliederung wieder einen regelmäßigen Kontakt zu Vereinsvertretern schaffen können.

Was die Zuschauer in den letzten Jahren mit am meisten beschäftigt neben den sportlichen Aspekten, ist das Thema Pyrotechnik. Ein vernünftiger Mittelweg scheint weit entfernt, und anscheinend gibt es für viele Protagonisten nur eine Schwarz-Weiß-Lösung. Wäre es sinnvoll, bis zu einer von beiden Seiten gewollten und tragbaren Lösung auf dieses Mittel der Stimmung zu verzichten, um auch einen großen Teil des Publikums in die Proteste miteinzubeziehen? Oft werden die Aktionen der aktiven Fanszene ja kritisch beäugt. So würde man den Ball für einen begrenzten Zeitraum wieder an den DFB spielen, der dann gezwungen wäre, entsprechende Lösungsansätze zu konzipieren. Zurzeit scheinen die Fans für die Funktionäre in Frankfurt ja eher den Status eines quengelnden Kindes zu haben.

Der freiwillige Verzicht wurde 2011 schon einmal eingesetzt. Das wurde aber vom Verband nicht als Kompromissbereitschaft gedeutet. Vielmehr haben sich einige damit gebrüstet, die bösen Pyromonster gebändigt zu haben. Ohne dabei auf Fanforderungen einzugehen, wurde also nur genommen und nichts zurückgegeben. Das ist nicht das, was man gemeinhin als Dialog bezeichnet. Es wurde versucht, die Fankurven zu spalten in Befürworter und Kritiker von Pyrotechnik. Schwer vorstellbar, dass sich die Fans noch mal auf so einen Schritt einlassen. Denn es hat sich gezeigt, dass DFB und DFL sich nicht unter Zugzwang sehen, wenn auf das Zünden verzichtet wird. Pyrotechnik ist sicherlich einer der am heißesten diskutierten Punkte, einfach weil sie stärker für jedermann sichtbar ist als zum Beispiel die Einhaltung der 300-Kilometer-Regel, die besagt, dass Auswärtsfans an Wochentagen nicht mehr als 300 Kilometer Anreiseweg haben sollten. Ein häufig gehörtes Argument ist, dass Pyro so hohe Strafen nach sich zieht. Indem Fans dem Verband zeigen, dass die Verbote und Strafen eh nichts bringen, wird er sich stärker unter Zugzwang fühlen als bei einem Verzicht. Wenn die Fans wollen, dann machen sie auch – warum können die das dann nicht gleich legal machen und mit Vereinen und Behörden gemeinsam ausarbeiten? Dann würden sich auch die nutzlosen Strafen erübrigen. Das scheint auch Bernd Hoffmann so zu sehen. Zumindest hat er die Debatte wieder etwas ins Rollen gebracht mit der Ankündigung, eine Legalisierung prüfen lassen zu wollen.

Was könnt ihr über bereits geplante Aktionen unseren Lesern mitgeben? Wie sieht die Zukunft dieser „Bewegung“ aus?

Fest steht, dass wir auch weiterhin für einen fan­gerechten Fußball einstehen werden. Wie und mit welchen Mitteln, bleibt abzuwarten und hängt auch stark davon ab, ob und was uns die Vereine und der Verband als Lösungen anbieten. Einige Achtungserfolge haben wir bereits erzielen können, von denen wir uns aber nicht blenden lassen wollen. Wir sehen das als Ansporn, auch andere Dinge anzupacken und zu verändern.

Für interessierte Fans unseres Vereins: Wie lässt sich die nach unserer Meinung absolut unterstützungswürdige Kampagne aktiv und passiv begleiten?

Aktionen und Positionspapiere werden weiterhin über die Internetseite der Nordtribüne Hamburg und auf der Facebook-Seite vom Möwenschiss angekündigt, im Stadion selbst dann noch mal über Flyer. An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal für die bisherige Resonanz bedanken. In Ingolstadt wurde der recht kurzfristig ausgerufene Boykott geschlossen durchgezogen. So gesehen sind wir froh, schon so viele aktive Begleiter auf unserer Seite zu wissen, dennoch freuen wir uns über jede weitere Wertschätzung. Weil das Material für Spruchbänder, Flyer oder Papiergeldscheine selbst natürlich auch Geld kostet, freuen wir uns natürlich auch jederzeit über Spenden. Inhaltlich freuen wir uns, wenn jemand den Weg zum Nordtribünenstand findet, um mit uns mal zu fachsimpeln und uns Rückmeldung zu geben.

Vielen Dank für eure spontane Bereitschaft für dieses Interview, welches, denken wir, vielen Lesern einmal nähergebracht hat, um was es geht, und gezeigt hat, dass es sich zu kämpfen lohnt. Euer Schlusswort bitte.

Danke schön für die Möglichkeit, uns hier erklären zu können! Wir würden uns freuen, wenn unsere Aktionen weiterhin diese breite Zustimmung erfahren – denn ohne eure Unterstützung schaffen wir es nicht. Lasst uns gemeinsam den Ball zurückerobern und das Spielfeld Stück für Stück zurückholen! |