TRIBÜNE

Pyrotechnik

Text: Thorsten Langenbahn · Illustration: Lucas Böse

Das Feuer brennt

Der Einsatz von Pyrotechnik spaltet die Fanszene. Geldstrafen und Stadionverbote verpuffen. Andere Länder zeigen ungefährliche Alternativen auf.

Kofferraumladungen voller Pyro, Rotwein und italienischer Hartwurst. So fuhren die Fans des 1. FC Kaiserslautern Mitte der Achtzigerjahre von Verona zurück in die Pfalz. In Norditalien huldigten sie mit ihren Touren über den Brenner ihrem Idol: Hans-Peter Briegel, Kampfname: die Walz aus der Pfalz. Der 1,88 Meter große Nationalverteidiger war 1984 zu Hellas Verona in die Serie A gewechselt. Auf Briegels Spuren ging es vom Lauterer Betzenberg aus regelmäßig in die Stadt von Romeo und Julia. Es war der Beginn der Geschichte der Pyrotechnik im deutschen Fußball. Es sollte nicht unbedingt eine Liebesgeschichte werden.

Was in Südeuropa bereits die Fankultur kennzeichnete, schwappte mehr und mehr nach Deutschland über. Dank der italienischen Vorbilder bedienten sich die Fans nicht mehr nur gewöhnlicher Rauchgranaten der Bundeswehr. Diese brachten lediglich weißen oder grauen Qualm hervor. Stattdessen kam immer mehr Farbe ins Spiel. Beim HSV traten die farbigen Nebeltöpfe ebenfalls früh in Erscheinung. Vor dem Anpfiff des DFB-Pokalfinales 1987 flogen gleich mehrere Nebeltöpfe aus dem HSV-Block, orangefarbener Qualm zog über die Ränge des Berliner Olympiastadions hinweg. Es war der Auftakt zum 3:1-Erfolg des HSV um Thomas von Heesen über den Zweitligisten Stuttgarter Kickers.

Respekt vor der Fackel

Dass die Pyrotechnik bislang zu keiner Tragödie geführt hat, halten Kritiker für ein kleines Wunder. Wenn die bis zu 2000 Grad heißen bengalischen Feuer im Block lodern, könnte ein Körperkontakt zu schwersten, womöglich lebensgefährlichen Verbrennungen führen. Es ist also alles andere als ein Kinderspiel, das die Pyrofans veranstalten. „Man muss sich schon mit der Handhabung auskennen“, sagt ein HSVer, der selbst schon mit der Fackel im Block gestanden hat. „Das ist nicht so: Ich zünd mir mal eben eine Zigarette an. Das Ding ist mit absolutem Respekt zu behandeln.“ Bei vernünftigem Umgang also kein Problem. Eine Panik oder ein Gedränge könnten dagegen gravierende Folgen haben. Anfang der Neunzigerjahre gehörte das Abbrennen von Rauchgranaten fast schon zum guten Ton. Zu den Hochburgen zählten Kaiserslautern, Offenbach und Dortmund. Die Vereine tolerierten das massenhafte Abbrennen von Pyros. Wo kein Kläger, da kein Richter. Die Kontrollen in den Stadien waren ebenfalls lax, die Stimmung durch die bunten Nebeltöpfe überstrahlte mögliche Gefahren. Erst Mitte bis Ende der Neunziger wurde den Klubs das Abbrennen von Pyrotechnik zu brenzlig. Nachdem sich in einem Duell zwischen St. Pauli und Hansa Rostock der Linienrichter sowie St.-Pauli-Keeper Klaus Thomforde verletzt hatten, dämmten die Vereine den Pyroeinsatz immer mehr ein. Schließlich untersagten sie den Gebrauch jeglicher Form dieser Materialien.

Der Reiz des Verbotenen

Heutzutage ist Pyrotechnik durch die Stadionordnungen durchweg verboten. Wer illegal bengalische Fackeln und Rauchtöpfe zündet, dem droht ein bundesweites Stadionverbot. Doch gerade dieser Reiz des Verbotenen schürt das Feuer. „Als junger Ultra will man natürlich dem Staat, dem Verein, der Gesellschaft zeigen: Ihr könnt mich mal. Uns interessieren eure Verbote nicht, wir machen es trotzdem“, sagt ein Kenner der aktiven HSV-Fanszene.

Abstiegsknaller stoßen auf Ablehnung

Hamburg, 12. Mai 2018, 17.21 Uhr, Volksparkstadion: Böller knallen auf der Nordtribüne, schwarze Rauchschwaden ziehen durch die Arena. Innerhalb von Sekunden verwandeln rund 200 bis 300 Vermummte und schwarz gekleidete HSV-Anhänger das Stadion in etwas Unheimliches aus Flammen und Rauch. Schiedsrichter Felix Brych unterbricht die Partie, die Polizei marschiert auf, Ausnahmezustand. Kurz zuvor hatte ein Großteil der Zuschauer noch ab der 78. Minute inbrünstig „Mein Hamburg lieb ich sehr“ von Abschlach! intoniert. Das Stadion versank trotz des schon feststehenden ersten HSV-Bundesliga-Abstiegs nach 55 Jahren nicht in Trauer, sondern präsentierte sich als Einheit. Es war ein besonderer Moment. Der Verbundenheit und Solidarität, nostalgisch und hoffnungsvoll zugleich.

Mit den ohrenbetäubenden Böllerschüssen wurden die Fans aus diesem Gemeinschaftsgefühl jäh herausgerissen. Die jungen Wilden stießen mit ihrer Pyroshow auf fast 90-prozentige Ablehnung, sofort entstand eine Gegenbewegung zu den Zündlern. Der Großteil der 57.000 Zuschauer zeigte mit lauten Pfiffen, was er von dem Szenario hielt: nichts. „Wir sind Hamburger – und ihr nicht!“, schallte es den eigenen Ultras entgegen.

Teil der Ultra-DNA

Für die einen sind die Pyroanhänger „Chaoten“, „Irre“, „Wahnsinnige“. Doch wer diese Ausdrucksform verstehen will, muss auch die Fankultur der Ultras verstehen wollen. Pyrotechnik ist Teil ihrer Identität, ein Kernmerkmal der Ultramentalität, so wie das Schwenken von Fahnen und dem Zeigen der eigenen Gruppenfahne unten am Zaun. Gleichzeitig ist das Zünden von Fackeln und Nebeltöpfen eine Form des Protests. Das gilt auch für die Ultras des Hamburger SV. Sie wehren sich damit zum Beispiel gegen ihrer Meinung nach willkürlich ausgesprochene Stadionverbote, gegen die Politik des DFB oder gegen Entscheidungen auf der HSV-Führungsebene.

In dieser Hinsicht bot der Verein in den vergangenen Jahren reichlich Angriffsfläche. So auch im Oktober 2018, als im Block erneut die Feuer leuchteten. Im Zweitrundenspiel des DFB-Pokals bei Wehen Wiesbaden steht der Gästeblock in Flammen, mehrfach muss das Spiel unterbrochen werden, die Partie steht kurz vor dem Abbruch. Hinterher kritisieren auch Spieler und Trainer den Pyreinsatz vehement. „Für die Unterstützung muss man die Fans loben, aber das mit dem Pyro können sie bitte in Zukunft lassen. Damit ist keinem geholfen“, befindet etwa Pierre-Michel Lasogga.

„Nur der Dialog zwischen Fanvertretern, Vereinen und Verbänden kann die Situation verändern.“

„Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“

Das HSV-Feuer brennt. 225.000 Euro kostete den Klub in der Abstiegssaison das Fehlverhalten einiger Fans. Im Strafen-Ranking war der HSV damit Bundesligaspitze. „Ich weiß nicht, ob den sogenannten Fans bewusst ist, was sie dem HSV da antun“, sagt Sportvorstand Ralf Becker. Der Versuch eines Dialogs führte in der Vergangenheit nicht zum Erfolg. Sachlich und faire Diskussionen? Fehlanzeige.

Eine Zeit lang schienen sich Ultragruppierungen aus ganz Deutschland, der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußball Liga anzunähern. 2011 zeigten alle drei Parteien die Bereitschaft, über das emotionale Thema zu sprechen. Die Faninitiative „Pyrotechnik legalisieren“ schrieb sich das Motto auf die Fahnen, das unter Feuerbefürwortern zu einem geflügelten Wort geworden ist: „Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“ Seriös und zielorientiert, so versuchten die Fans mit Vereins- und Verbandsvertretern über mögliche Pilotprojekte zum kontrollierten Abbrennen von Pyrotechnik zu reden.

Abruptes Ende der Annäherung

Doch die Annäherung löste sich schneller in Rauch auf, als es sich alle Beteiligten gewünscht hätten. Der Grund: DFB-Sicherheitschef Helmut Spahn, die zen­tra­le Vermittlerfigur, verließ den Verband in Richtung Katar. Das bedeutete auch das abrupte Ende der Gespräche. Das die Verständigung über so ein brisantes Thema an einer Person zu hängen scheint, sagt viel über die Debattenkultur im größten Sportfachverband der Welt aus.

Dänen testen „kalte Fackel“

Andere Länder zeigen, dass es auch anders geht. In Dänemark versucht Brøndby IF mit einer „kalten Fackel“ eine ungefährliche Variante zu institutionalisieren. Die Tests des Erstligisten in Zusammenarbeit mit der dänischen Fanorganisation Dankse Fodbold Fanklubber (DFF) verliefen positiv. Nun will Brøndby, der dänische Verein mit den meisten Pyrostrafen, für eine Zeitenwende sorgen. Die deutsche Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung hat für die kalte Fackel sogar eine CE-Kennzeichnung vergeben. Damit ist sie zur niedrigsten Gefahrenklasse von Brennkörpern zugeordnet und steht auf einer Stufe mit einer brennenden Zigarette. Gleichzeitig ist sie durch das CE-Zertifikat europaweit zugelassen. In der US-amerikanischen Major League Soccer (MLS) hat Orlando City seine Fans mit alternativer Pyrotechnik überzeugt. Der Klub aus Florida richtete 2017 sogenannte Smoke Device Areas ein – Zonen zum kon­trol­lier­ten Abbrennen von Pyros unmittelbar vor dem Fanblock. Auch Feuerwehr und Behörden gaben dafür ihr Okay. Seitdem dürfen Anhänger, die vorher ein Sicherheitstraining absolviert haben, vor dem Anpfiff bunten Rauch zünden. Die Leuchtfackeln, meist lila in den Orlando-City-Vereinsfarben gehalten, stammen von einem zertifizierten Anbieter, sind ungiftig und nicht krebserregend. Auch so ist Pyrotechnik als Stilmittel und Unterstützung möglich.

Die Fronten sind verhärtet

Ob das eine Alternative für Deutschland sein könnte, erscheint fraglich. Die Fronten hierzulande sind verhärtet. Kompromisse? Dazu müssen sich derzeit alle bewegen. Auf der einen Seite stehen die Ultras, auf der anderen die Vereine wie die HSV Fußball AG und das Stadionmanagement, wie Spieler und Trainer. Auch der HSV Supporters Club spricht sich gegen den illegalen Einsatz von Pyrotechnik aus und fordert alle Beteiligten auf, an einem Konsens zu arbeiten. Das Ergebnis gesetzeswidriger Aktionen trifft in Form von Kollektivstrafen am Ende immer alle HSVer. Sanktionen durch das DFB-Sportgericht können von einem Teilausschluss der Anhänger, etwa ein Auswärtsspiel ohne HSVer oder ein Geisterspiel vor leeren Rängen, bis hin zum Punktabzug reichen. Doch Repressionen machen alles nur schlimmer, das hat die Geschichte der Pyrotechnik gezeigt.

Ohne Legalisierung kein Konsens

Vorerst wird Pyrotechnik die Fanfamilie auch weiterhin spalten: Stimmungsmacher oder Randale? Beeindruckende Choreografie oder gesundheitsgefährdende Qualmerei? Gefährlicher Leichtsinn oder gelebte Leidenschaft? Fest steht: Nur der Dialog zwischen Fanvertreten, Vereinen und Verbänden kann die Situation verändern. „Solange Pyro verboten ist, kann es keinen Konsens geben“, sagt ein HSV-Szenekenner. Die Gräben sind tief. Dass kalter Rauch sie überwinden kann, scheint aktuell noch schwer vorstellbar. |

Wie steht der Supporters Club zur Pyrotechnik?

Der Supporters Club distanziert sich ganz klar vom illegalen Abbrennen von Pyrotechnik. Feuerwerk, welches bis zu 2000 Grad Celsius heiß werden kann und unkontrolliert abgebrannt wird, hat in einem voll besetzten Stadion nichts verloren.

Wir glauben aber, dass die Verbote und harten Strafen in keiner Weise für eine Entspannung der Situation gesorgt haben – im Gegenteil. Die Vorfälle mit Pyrotechnik werden immer mehr. Ein Umdenken muss her.

Eine Lösung in Zusammenarbeit mit Ultras, Pyrotechnikern, Feuerwehr und Verbänden muss das Ziel sein. Wir setzen uns für einen ernsthaften und ergebnisoffenen Dialog zu diesem Thema ein und werden diesen in unserem Verein angehen und einfordern!

Die Abteilungsleitung HSV Supporters Club