TRIBÜNE

Dauerkarten

Text: Felix Klabe · Illustration: Lucas Böse · Foto-Vorlage: Witters

Wer nicht kommt, muss Platz machen

Dauerkarteninhaber, die bei weniger als zwölf Heimspielen waren, verlieren das Vorkaufsrecht für die folgende Saison. Eine Ungerechtigkeit? Was steckt dahinter? Wie steht der SC dazu?

Wenn es Markus Limpert einmal nicht ins Stadion schafft – was sehr, sehr selten vorkommt –, dann gibt er seine Dauerkarte an Freunde weiter. Ungenutzt verfallen lassen will er die Karte für seinen Platz in 22B gleich über der Bundesliga-Uhr nicht. Darauf legt Limpert großen Wert. Das ist anscheinend nicht bei allen Fans so – was die HSV Fußball AG vor zwei Jahren zu einem nicht ganz unumstrittenen Schritt bewegt hat.

Kurz auf Anfang: Seit der Saison 2016/2017 gibt es eine Mindestnutzung für Dauerkarten. Es gilt: Wer eine hat, muss für zwölf der 17 Heimspiele ins Volksparkstadion kommen, sonst verliert er das Vorkaufsrecht für die kommende Saison. „Wir mussten leider feststellen, dass es unter den Dauerkartenbesitzern gerade im Stehplatzbereich, also eigentlich unter den Treuesten der Treuen, erstaunlich viele gibt, die ihre Dauerkarte nicht regelmäßig nutzen“, erklärt Kai Voerste, Leiter des HSV-Ticketing. Zum Ende der Saison 2015/2016 sah das so aus: Rund 2000 Dauerkarteninhaber im gesamten Stehplatzbereich waren nur elfmal oder gar noch seltener im Stadion. Zehn Prozent aller Dauerkarteninhaber in diesem Bereich, das entsprach rund 950 Personen, waren laut HSV Fußball AG sogar nur sechsmal da. „Mit der Mindestnutzung wollen wir auch denjenigen eine Chance geben, an eine Dauerkarte zu gelangen, die darauf warten und die Mannschaft im Stadion unterstützen wollen“, sagt Voerste.

Volle Kurven, nicht volle Kassen

Im ständigen Arbeitskreis Fanbelange wurde damals diese Idee zum Thema gemacht. Der Supporters Club war von Anfang an in die Gespräche eingebunden, heißt es dort. „Wir alle wollen ein volles und stimmungsvolles Stadion und nicht einfach nur möglichst viele verkaufte Karten.“ Ließen Dauerkarteninhaber ihre Karte verfallen, würden Plätze blockiert, die andere Fans gern nutzen würden. Deshalb unterstützt der Supporters Club die Regelung.

„Was ein Verein braucht, sind Fans, die auch da sind.“

2500 Fans warten auf Nordkurven-Stammplatz

Auch Markus Limpert zeigt Verständnis: „Es gibt eben Rosinenpicker, die nur zu Spielen wie etwa gegen Bayern oder Dortmund kommen und dann nicht mehr“, sagt er. Derzeit stehen laut Ticketingleiter Voerste rund 2500 Personen auf der Warteliste für eine Dauerkarte im Nordbereich. Limpert findet, dass gerade dort auch neue Dauerkarteninhaber nachkommen und in die Szene reinwachsen sollten.

Limpert selbst war im Jahr 1993 Gründungsmitglied des Supporters Clubs und hat bereits seit Ende der Achtzigerjahre eine Dauerkarte. Limpert erinnert sich noch genau an sein erstes Spiel des HSV 1983: Die Mannschaft gewann 5:0 gegen Dortmund, es war direkt nach dem Europapokal-Sieg. Damals war er 14 Jahre alt und das Feuer entfacht. Bis Mitte der Neunzigerjahre unterstützte Limpert die Mannschaft bei allen Heim- und Auswärtsspielen. Bis zur Geburt seines Kindes im Jahr 2007 nahm er noch drei Viertel aller Spiele mit. Wenn Limpert über die Stadionbesuche spricht, dann klingt das alles sehr selbstverständlich. Natürlich gehe er hin, „und da ist erst einmal auch kein Ende in Sicht“, sagt er. Und wenn er eben nicht kann, dann gibt er die Karte weiter. Es finde sich immer jemand. Dennoch ist ihm bewusst: Die Diskussion um die Regelung ist eine emotionale.

Dauerkarte heißt: Mindestens zwei Drittel der Spiele besuchen

„Ich habe einige tragische Geschichten gehört von Dauerkartenbesitzern, die ihre Karten verloren haben, etwa ein glühender Fan aus Dresden mit Raute im Herzen“, erklärt Ticketingleiter Voerste. „Aber auch dieser hatte die Möglichkeit, seine Dauerkarte etwa im Freundes- oder Fanclubkreis weiterzureichen.“ Einige Fans würden denken, sie täten dem Verein schon mit dem Kauf der Dauerkarte einen Gefallen. „Doch was ein Verein braucht, sind Fans, die auch da sind.“ Und wenn man schon vorher weiß, „dass man vielleicht nur zweimal in der Saison im Stadion ist, und sich nicht bemühen will, seine Dauerkarte loszuwerden, dann kann man genauso verzichten und eine Tageskarte kaufen“, so Voerste. Das sei bei den meisten Spielen möglich, „auch wenn man dann vielleicht nicht auf seinem angestammten Platz sitzt“.

Wer eine Dauerkarte hat, kann diese durchaus über die HSV-Ticketbörse loswerden – allerdings bekommt der Käufer nur einen Ausdruck und dieser bringt dem Dauerkarteninhaber nichts in Sachen Mindestnutzung. Der Verkauf zählt schlichtweg nicht. Das sorgt unter Fans immer wieder für Kritik. Doch von der HSV Fußball AG ist das genau so gewollt: Ein anderes Verfahren „würde diejenigen, die eine Dauerkarte haben und statt zu möglichst vielen nur zu ausgewählten Spielen kommen, begünstigen“, erklärt Voerste und macht noch einmal deutlich: „Zwölf von 17 Spielen – das entspricht zwei Dritteln, was in meinen Augen großzügig beziehungsweise angemessen ist, wenn man von Dauerkartenbesitzern spricht.“

Dem Supporters Club ist bei der Mindestnutzung wichtig, „dass es im Zweifel eine Einzelfallprüfung gibt“. Fans, die krank werden, begrenzte Zeit im Ausland sind oder andere wichtige Gründe vorbringen, warum sie ihre Dauerkarte nur selten nutzen können, sollten ihre Karte nicht automatisch verlieren. „Sie sollen angehört werden und die Karte bei nachvollziehbaren Gründen behalten dürfen. So wird es derzeit auch praktiziert“, heißt es beim Supporters Club. |