SPIELFELD

Maradona

Text: Jörg Wolter · Collage: Lucas Böse · Foto-Vorlage: Witters

Visionär und
Schaumschläger

Der Kieler Baulöwe Jens „Jonny“ Solterbeck hatte eigensinnige Geschäftsideen. Eine davon: Diego Armando Maradona sollte beim HSV spielen, finanziert über Eintrittsgelder bei Heimspielen.

Der Fußball bot stets eine Bühne für schräge Vögel, Visionäre, Schaumschläger und Lügenbarone. Günter Eichberg, Christoph Daum, Eric Cantona, Paul Gascoigne, Uli Stein, George Best, Stefan Effenberg, Ulrich Borowka, die Liste ließe sich endlos fortführen und zeigt: Fußball ist Sammelbecken für skurrile Gestalten. Ein besonderes Exemplar stellte der Kieler Baulöwe Jens „Jonny“ Solterbeck dar.

Der 1948 Geborene schien auf der Gewinnerseite des Lebens. Seine Leidenschaft war zeitlebens Sport und besonders Fußball. Da passte es gut, dass zu Beginn der Neunzigerjahre der Hamburger SV in ein Leis­tungs­tief gefallen war. Die Spielzeit 1991/1992 hatte das Gründungsmitglied der Bundesliga auf einem enttäuschenden zwölften Tabellenplatz abgeschlossen. Anspruch und Wirklichkeit klafften auseinander. Daran wollte der Bauunternehmer etwas ändern. Jonny Solterbeck hatte durch seine Freundschaft zu Uwe Seeler und Ernst Happel eine Liebe zu dem Klub an der Elbe entwickelt und engagierte sich als Sponsor.

Doch dies reichte dem Geschäftsmann nicht, er wollte sich ein Denkmal setzen und plante den ganz großen Coup – die wohl skurrilste Geschichte der Transferhistorie des Hamburger SV: „Ich schenke dem HSV einen Starspieler“, verkündete Solterbeck 1992 im Magazin „Der Spiegel“. Bei dieser großspurigen Ankündigung dachte er an keinen Geringeren als Diego Maradona.

Der wohl beste Mittelfeldspieler der Achtzigerjahre war 1991 positiv auf Kokain getestet worden. Sein Gastspiel beim SSC Neapel hatte der alternde Superstar abgebrochen. Er war von der Fifa für 15 Monate gesperrt. Nun peilte die lebende Legende ein Comeback an. Solterbeck knüpfte über internationale Spielervermittler den Kontakt.

Für die Finanzierung von Maradona stellte sich Solterbeck ein unorthodoxes Konzept vor. Diego Armando Maradona sollte über Eintrittsgelder bei Heimspielen finanziert werden. Bei Auswärtsspielen hätte der HSV auf ihn verzichtet. „Bei Auswärtsspielen hätte er nur gespielt, wenn wir an den Einnahmen der Gastgeber beteiligt worden wären. Denn zum HSV mit Maradona kommen auch in anderen Stadien automatisch 15.000 Zuschauer mehr“, erklärte Solterbeck.

Leider sollte es nie zu diesem Transfer kommen. Maradona erlag nicht den Lockrufen aus dem Norden. Stattdessen wechselte er zum spanischen Erstligisten FC Sevilla. Dass der argentinische Superstar jemals ein ernsthaftes Thema beim HSV gewesen sei, bestritt Jahre später Heribert Bruchhagen, der 1992 als Manager von Schalke 04 zu den Rothosen gewechselt war. „Das war der größte Blödsinn aller Zeiten. Für mich ist die Story der Prototyp für schlechte Recherche“, sagte Bruchhagen in einem „11 Freunde“-Interview im Jahr 2014.

„Ich schenke dem HSV einen Starspieler.“

Jonny Solterbeck, der bereits vorbestraft war, zog weiter und engagierte sich ab 1993 als Sponsor beim Nord­ri­va­len Holstein Kiel. Mittels einer Sport Marketing GmbH, bei der Solterbecks Frau Ingrid Gesellschafterin war, sollte Kiel es zurück in den Profifußball schaffen. „In drei bis vier Jahren soll der Sprung in die zweite Liga geschafft sein“, formulierte der gewichtige Geschäftsmann und weiter: „Noch gehört mein Herz dem HSV, wenn Kiel aber erst einmal zweitklassig ist, kann sich das schnell ändern.“ Diese vollmundige Ankündigung sollte durch ehrgeizige Pläne untermauert werden.

Solterbeck plante, das Holstein-Stadion über die Marketing GmbH für 500.000 D-Mark von der Stadt zurückzukaufen. Dann wollte der Baulöwe zwei bis drei Millionen D-Mark in einen kompletten Stadionumbau investieren. Die Kapazität sollte von 15.000 auf 30.000 erhöht, die Tribüne umgebaut werden. Die einzige Bedingung, die der Sponsor an dieses Investment knüpfte, war, dass das Stadion zukünftig Erika-Solterbeck-Stadion heißen sollte – in Gedenken an seine geliebte Mutter.

Auch in Kiel verstand es der Unternehmer, die Leute mit seinen Fantastereien zu blenden. Lauthals dachte Solterbeck über die Verpflichtung von Thomas von Heesen nach, fabulierte darüber, dass in Kürze sein Wunschgegner Inter Mailand auf der noch fehlenden Anzeigetafel im Holstein-Stadion aufleuchten würde, und brachte mit den HSV-Spielern Yordan Letchkov, Sergio Zárate oder Horst Hrubesch Glanz nach Kiel.

Doch wie schon in Hamburg, so verpuffte auch in Kiel der Zauber des Schaumschlägers Jens „Jonny“ Solterbeck nach kurzer Zeit. Was blieb, waren unerfüllte Träume und unbezahlte Rechnungen. Auf das Stadion wartet Kiel noch heute, die zweite Liga wurde auch ohne Solterbeck erreicht, aber 23 Jahre später. Der Unternehmer brachte es zu einer Vielzahl von Geld- und Bewährungsstrafen. Die Liste der Vergehen reichte von Nötigung über Betrug, Diebstahl, Beleidigung, unerlaubten Waffenbesitz, Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bis hin zu Unterschlagung. Dennoch gelang es dem notorischen Straftäter stets, dem Gefängnis zu entkommen, wie auch der NDR in einem Bericht über Solterbeck 1995 feststellte. 1994 musste die Solterbeck-Baugesellschaft Konkurs anmelden. Unternehmer Solterbeck war offiziell pleite. Siebzig Millionen D-Mark Schulden hatten sich angehäuft. Auch die Sport Marketing GmbH meldete Konkurs an.

Jens „Jonny“ Solterbeck verschwand von der großen Bühne des Sports, doch schenkte er dem Fußball legendäre Episoden. Auch sein frühes Lebensende bietet Stoff für Rätsel, sodass sich der Sonnenkönig bis zum Ende treu blieb. Mit Solterbeck zeigte sich einmal mehr, dass Fußball einen fruchtbaren Boden bietet für Geschichtenerzähler und Fantasten. |