SPIELFELD

Marc Bator

„Für mich muss es immer vorangehen“

Interview: Alexander Nortrup · Fotos und Video: Marcus Reichmann

Als 20-Uhr-Sprecher der „Tagesschau“ wurde Marc Bator überall erkannt – und hat den Job dennoch gekündigt. Der ehemalige HSV-Stadionsprecher im exklusiven sn-Interview über Anerkennung, Schmerzen, die Glücksgefühle auslösen, und seine Tränen beim Abstieg.

Herr Bator, von 2008 bis 2010 waren Sie Teil der Stadionshow und haben bei HSV-Heimspielen moderiert. Ich habe einmal geschaut: In den Spielzeiten kamen am Ende der vierte, fünfte, siebte und achte Platz heraus. Klingt aus heutiger Sicht beinahe surreal, oder?

Ein unglaubliches Detail: Ich erinnere mich, dass damals dennoch manche Leute nicht zufrieden waren. Es ist eben alles relativ. Auf jeden Fall waren es absolut heiße Zeiten. Als Team der Stadionshow waren wir damals auch einmal bei den Supporters eingeladen. Es hat mir unglaublich imponiert, wie dort Fanliebe gelebt wird. Der HSV ist für viele Menschen ein extrem wichtiger Bestandteil ihres Lebens, das respektiere ich sehr. Und das gilt in gewisser Weise auch für mich.

Wie wurde der Junge aus Niedersachsen zum HSV-Fan?

Als Kind wollte ich unbedingt mit einem Verein fiebern, der in der Bundesliga spielt. Aber 96, der Klub vor unserer Haustür, spielte in der zweiten Liga. Es kamen dann eigentlich nur Bayern und der HSV infrage. In dieser Zeit – 1982, 1983 – hatte der HSV bekanntlich eine außergewöhnlich erfolgreiche Phase und viele herausragend starke Spieler, und so ging bei mir die Begeisterung los. Als ich 1993 nach Hamburg zog und für einen privaten Radiosender und später für „ran“, die Sat.1-Fußballsendung, hin und wieder im „alten“ Volkspark war, hat sich die Bindung noch einmal verstärkt. Da ist wirklich etwas gewachsen. Den Abstieg habe ich übrigens in einem Hotelzimmer in Los Angeles erlebt, da lief auf NDR 2 im Onlinestream die Bundesligakonferenz. Mir kullerte nach dem Schlusspfiff eine Träne übers Gesicht, ich hätte das nicht für möglich gehalten – so weit weg, und doch so betroffen.


Sie haben acht Jahre lang die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ gesprochen, das wohl ehrwürdigste Nachrichtenformat im deutschen Fernsehen. Wie viel hat Ihnen diese Anerkennung bedeutet?

Die Jahre bei der „Tagesschau“ waren schon intensiv. Wie oft ich da erkannt und angesprochen wurde! Für mich war das eine Bestätigung, dass ich in meinem Job wohl nicht so viel verkehrt gemacht habe. Genervt hat es mich nie. Das weiß man vorher, wenn man in einen solchen Beruf geht. Wenn mich jemand anspricht, sagt mir das: Du wirst wahrgenommen. Das ist in Zeiten medialer Überflutung schon etwas Besonderes.

„Wer von einer Leidenschaft beseelt ist, zündet irgendwann seinen inneren Motor und erreicht hohe Ziele.“

Ihre Mutter im kleinen Gehrden bei Hannover muss sehr stolz auf Sie gewesen sein.

Die hat sich gefreut, na klar. Aber sie war immer sehr herzlich, und zugleich konnte sie auch streng sein. Stolz als Gefühl gibt’s bei meiner Mama nicht. Bei mir übrigens auch nicht. Freude würde es eher treffen. Gleichzeitig lege ich sehr hohe Maßstäbe an mich selbst und andere Menschen an.


Sie haben zwei Töchter. Geben Sie den beiden viel Lob und Anerkennung?

Meine Frau sagt: Könnte mehr sein. Ich als Papa sage: Auf jeden Fall genug. Einig sind wir uns darin, dass wir unsere Kinder nicht treiben und unter Druck setzen. Das Schlimmste wäre es für mich, zu meinen Mädels zu sagen: Du musst ins Fernsehen, du musst berühmt werden. Als meine Frau das erste Kind erwartete, haben wir uns vorgenommen: Es ist egal, was sie einmal wird. Hauptsache, glücklich.


Angetrieben vom ehrgeizigen Promi-Papa werden Ihre Kinder also nicht?

Definitiv nicht. Unseren Fokus legen wir eher auf Werte. Wir wollen, dass die Kinder sich sozial kompetent entwickeln und zu vernünftigen Menschen werden. Das ist viel wichtiger als irgendein kindliches Talent bis an die Spitze zu treiben. Unsere Mädels sind auf verschiedenen künstlerischen Gebieten begabt. Und wer von einer Leidenschaft beseelt ist, zündet irgendwann seinen inneren Motor und erreicht hohe Ziele. Dazu muss man einem Kind vermitteln, Ziele anzustreben. Welche genau, das müssen sie für sich selbst herausfinden. Beide können sich übrigens durchaus gut präsentieren. Vielleicht haben sie das vom Papa geerbt. (lacht)

Als bekanntes TV-Gesicht hofiert und eingeladen zu werden – hat Sie selbst das stolz gemacht?

Man freut sich darüber. Anerkennung habe ich vor allem dann gespürt, wenn ich Fanpost bekommen oder mit Zuschauern auf der Straße Gespräche geführt habe. Wenn ich gemerkt habe: Du als Person, nicht in deiner Rolle, bereitest Menschen eine Freude. Darüber bin ich bis heute sehr glücklich, das ist für mich die schönste Anerkennung.


Dass sich wahre Liebe erst in harten Zeiten beweist, wissen HSV-Anhänger ja am besten.

Ich will es einmal so sagen: Man muss im Volkspark gewesen sein, um diese Beziehung zu verstehen. Was dort auch in schweren Zeiten passiert, kannst du nicht in Worte fassen. Das sind ganz große Gefühle, und das soll bei Norddeutschen schon etwas heißen.


Sie selbst stehen zwar inzwischen nicht mehr im Flutlicht, aber Scheinwerfer sind beinahe täglich auf Sie gerichtet. Auf Ihrer Website steht: „Für mich ist mein Publikum das Wichtigste.“ Das klingt nach ausgeprägtem Geltungsdrang.

Ich bin ganz offen: Es gibt viele Menschen in öffentlichen Berufen, die die Anerkennung ihres Publikums genießen, weil sie sich im Scheinwerferlicht sonnen. Eitelkeit ist in Fernsehberufen sehr ausgeprägt. Natürlich bin auch ich eitel. Aber für mich war es immer der Sinn meines Berufes, Menschen Freude zu bereiten. Durch die „Tagesschau“ habe ich das erfahren, darüber hinaus besonders durch die Moderation der „Nordtour“, einem ganz tollen Reiseformat im NDR-Fernsehen. So eng an Menschen dran zu sein, das hat mir tiefe Freude bereitet. Wie entscheidend das Publikum und Fans sind, kann man im Augenblick übrigens auch auf beeindruckende Weise beim HSV sehen.

„Ich finde, man darf sich durchaus einmal verändern. Nur dann kann man sich selbst treu bleiben.“

Wie haben die Menschen reagiert, als Sie 2013 die „Tagesschau“ verlassen haben und zu Pro Sieben Sat.1 gegangen sind?

Noch heute passiert es, dass Leute mich deswegen bedauern – egal ob ehemalige Kollegen oder wildfremde Menschen. Die sagen: Die Marke „Tagesschau“ ist doch das Höchste, was man im Leben erreichen kann. Und klar: Es ist etwas ganz Wunderbares. Ich wäre kreuzunglücklich, wenn ich dort nicht gewesen wäre. Aber ich arbeite nun als Nachrichtenmoderator für Sat.1 und bin glücklich. Ich mache auch andere Projekte, habe in diesem Jahr ein kurzes Sportmanagementstudium an der Hochschule St. Gallen erfolgreich abgeschlossen. Ehrlich: Ich habe mich noch nie so durchgereift gefühlt wie jetzt, mit 45 Jahren. Ich fühle mich absolut richtig an dem Platz, an dem ich bin.


War Ihre Mutter enttäuscht über die Zäsur?

Sie steht seit jeher zu mir. Ich habe mich schließlich schon einmal umorientiert: Als ich mit 27 zur „Tagesschau“ ging, habe ich etwas sehr Wertvolles aufgegeben. Ich war vorher eine der erfolgreichsten deutschen Werbestimmen, hatte viele Jahre als Off-Sprecher gearbeitet. Man hat mich damals für verrückt erklärt – finanziell und inhaltlich hätte ich wohl weiter machen können, was ich wollte. Aber ich hatte Lust, dass sich dieser Kindheitstraum der „Tagesschau“ erfüllt. Bei meinem Abgang hat sie gesagt: Schade, dass du nicht mehr die „Tagesschau“ sprichst. Denn wenn der Sohn populär ist, färbt das auch immer ein wenig auf dich als Mutter ab. Ich hab’ ihr schon früh gesagt: Dass dich in der Fußgängerzone jeder grüßt, kann auch wieder vorbei sein. So läuft es in diesem Beruf nun einmal.

Sie sind freiwillig gegangen.

Vielen Menschen fehlt vielleicht der Mut für einen solchen Schritt. Ich ticke anders: Für mich muss es immer vorangehen. Ich mache seit fast zwanzig Jahren Fernsehen, habe mit 16 mein erstes Praktikum gemacht. Im nächsten Jahr, ich bin dann 46, arbeite ich seit drei Jahrzehnten in der Medienbranche. Diese 13 Jahre bei ARD aktuell bleiben etwas sehr Besonderes in meinem Leben. Aber wenn man einen Lebensplan hat, ist es legitim, noch andere Dinge erfahren zu wollen. Ich arbeite in einem wunderbaren Medienhaus mit einem großartigen Team und schreibe meine Moderationen selbst. Ich finde, man darf sich durchaus einmal verändern. Nur dann kann man sich selbst treu bleiben.

Welche neuen Pläne hatten Sie?

Ich wollte mich in anderen Feldern umschauen, etwa dem Sport. In den letzten Jahren habe ich neben meiner Tätigkeit für Pro Sieben Sat.1 einiges im Sport gemacht, insbesondere im Profi-Radsport. Als Berater, als Verhandlungsführer. Das wäre neben der „Tagesschau“ wohl nicht möglich gewesen.

Rad fahren ist ein wichtiger Teil Ihres Lebens: Als 15-Jähriger waren Sie bei der ersten Etappe der Tour de France in Berlin. Sie haben auch selbst Rennen bestritten. 180 Kilometer auf einem steinharten Sattel bei Regen und Wind – warum musste es ausgerechnet dieser Sport sein?

Weil das, was Sie da beschreiben, Leid und Schmerz, auch ein tiefes Gefühl der Freude auslösen kann. Nämlich dann, wenn du eine Entwicklung siehst und ahnst, wozu du imstande bist. Für mich als Steppke war das Fahrrad eine wichtige Lektion in Sachen Freiheit: Plötzlich war ich allein und unabhängig mobil. Durch die Fortbewegung, das Vorankommen entsteht ein ungemeines Glücksgefühl. Ich behaupte einmal: Jeder Mensch kann hundert Kilometer am Stück Rad fahren, ohne Schmerzen. Allerdings ist dafür Training nötig. Aus dem Stand geht’s nicht.

„Was im Volkspark auch in schweren Zeiten passiert, kannst du nicht in Worte fassen. Das sind ganz große Gefühle.“

Anerkennung ist im Radsport ein riesiges Problem. Da leisten Athleten unfassbar viel, quälen sich bei jedem Wetter und hinterher denken alle: Die sind eh gedopt. Warum tun sich junge Leute das überhaupt an?

Natürlich kann man diese Frage auch Ringern oder Gewichthebern stellen, deren Sportarten ebenfalls oft unter Dopingverdacht stehen. Aber es stimmt: Die Radprotagonisten geben oft 200 Prozent und stehen dennoch im Schatten der Teufelskralle dieses Sports, des Dopings. Alle Radsportler leiden unter dem schlechten Image der Sportart. Seit einigen Jahren ist der Radsport aber in einem Prozess. Es ist nun vieles deutlich besser als früher. Ohne verbotene Hilfsmittel ist vielleicht vieles nicht mehr so spektakulär, aber im Radsport stecken immer noch gefühlt unendlich viele Emotionen, für die Akteure und die Zuschauer. Fans spielen auch hier eine enorme Rolle, um durchzuhalten. Leid und Askese spielen eine große Rolle.


Sie leiten Ihre eigene Beratungsfirma, die sich vor allem an Radsportler richtet. Was können Sie denen anbieten?

Bei Teamvision steckt nicht nur Marc Bator drin, das sagt ja schon der Name. Wir sind eine kleine Crew, die sich auf Sportmanagement und -marketing konzentriert. Wir haben Menschen mit viel Erfahrung und Erfolgen an Bord, auch zwei ehemalige Profis als Berater. Gemeinsam vermitteln wir weltweit Verträge und Sponsoren für Radfahrer und Rennställe, pflegen die Instagram-Profile der Sportler und machen vieles mehr. In den kommenden Jahren wollen wir auch in anderen Disziplinen Athleten betreuen. Es geht auch da vorwärts. Übrigens: Unter anderem hat sich mein Englisch, das mal katastrophal war, echt verbessert. (lacht)


Was wäre, wenn ein von Ihnen betreuter Sportler des Dopings überführt wird?

An diesen Moment haben wir schon oft mit bangem Herzen gedacht. Natürlich ist Antidoping ein wichtiges Thema in unserer Arbeit. Wir sprechen mit den Sportlern, die wir betreuen, offen über das Thema und was passiert, wenn sie einer Versuchung unterlägen. Ich glaube, dass meine Erfahrungen im Medienbereich in einem konkreten Fall durchaus weiterhelfen könnten. Den Umgang mit schlechten Nachrichten habe ich in meinem Leben jedenfalls gelernt. Aber das wollen wir uns alle nicht wünschen.

Zur Person:

Marc Bator (45) wollte schon als Kind zur „Tagesschau“. Der in Hannover geborene Mann mit der markanten Stimme lernte beim Alsterradio den Beruf des Redakteurs, war ab 1993 Teil der legendären „ran“-Redaktion. Es folgten Tausende Werbespots mit seiner Stimme. 2000 wechselte Bator zu ARD aktuell und sprach zunächst Off-Meldungen. 2005 präsentierte er das erste Mal um 20 Uhr die „Tagesschau“ und war mit 32 Jahren ihr bislang jüngster Sprecher. 2013 wechselte er als Anchorman zu Pro Sieben Sat.1, seitdem arbeitet und lebt er mit seiner Frau und zwei gemeinsamen Töchtern im Berliner Stadtteil Grunewald. 2014 gründete Bator Teamvision, eine Beratungs- und Marketingfirma für Radsport und andere Sportarten.

Tatsächlich? Erfolgreicher Off-Sprecher, „Tagesschau“, Sportmanager – was in Ihrer Vita hat nicht geklappt?

Kaum jemand weiß, dass ich in der F- und E‑Jugend des TSV Kirchdorf, einem Stadtteil von Barsinghausen bei Hannover, gespielt habe. Leider konnte mir der Trainer weder Talent noch Spielverständnis bescheinigen. Dabei habe ich ganze Nachmittage den Ball gegen die Wand gehämmert. Was, nebenbei, trotz allem viel Spaß gemacht hat. Mit dem Ballgefühl ist es bis heute nicht besser geworden. Ich habe ein großes Interesse am Fußball, aber auf dem Platz zu stehen ist mir eher unangenehm. Und ich wollte viele Jahre Showmaster werden, habe von der Samstagabendshow geträumt. Hat leider nicht geklappt.


Peinlich berührt waren auch viele Fans des HSV in den vergangenen Jahren. Der Verein mutierte förmlich zu einem Sinnbild für sportliche und wirtschaftliche Misserfolge. Wie weit ist der Weg von dort zurück zum Erfolg, zur Anerkennung?

Zwischenzeitlich war es wirklich zum Verzweifeln. Meine eigene Liebe zum Verein haben diese schweren Zeiten nicht beschädigen können – und so geht es vielen anderen Fans auch. Aber was man in den vergangenen zwei, drei Jahren von außen mitbekommen hat, genügt wohl kaum den professionellen Ansprüchen eines erfolgreichen Bundesligisten. Und dafür hat man die Quittung bekommen. Für die Fans ist das bitter – aber momentan ist der Verein wieder auf einem guten Weg. Ich gehe hundertprozentig davon aus, dass der sofortige Wiederaufstieg gelingt. Der große Rückhalt der Anhänger hilft dabei natürlich enorm. Finanziell dagegen wird es schwierig bleiben, denke ich.


Wie oft schaffen Sie es heute aus Berlin noch ins Volksparkstadion?

Bis zu unserem Umzug nach Berlin im Frühjahr 2014 war ich sehr regelmäßig da. Seitdem gehe ich eindeutig zu wenig hin. Sehr schade. Berlin ist zwar nicht weit von Hamburg entfernt, aber immer wieder gibt es Gründe, warum es dann doch nicht klappt. Ich verfolge die Spiele aber, wann immer es geht. Im Februar war ich zuletzt im Stadion, und in diesem Jahr will ich es noch einmal schaffen. Berlin ist echt schön, aber ich vermisse zwei Dinge: meine Radtouren rund um Hamburg und den HSV. |